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Müßiggang

Spielen wir ein wenig Kopfkino. Stellen Sie sich folgende Bilder vor: durch die Straßen eilende Menschen am Morgen. Auf einer Weide umherlaufende Tiere bei Sonnenaufgang. Hastig über einen Platz schreitende Frauen und Männer zur Mittagszeit. Aus dem Schulgebäude stürmende Kinder am frühen Nachmittag. Am Bahnhof an- und abfahrende Züge im zeitgebundenen Rhythmus des Fahrplans. Durchstartende Autos in der Grünphase an Straßenkreuzungen zu jeder Zeit. In der Luft schwirrende Insekten im Gegenlicht. Junge und Alte, im Sekundentakt genormte Menschen in ihren Büros. Den Straßen entlang rasende Fahrzeuge in der Abenddämmerung. Im Akkord schuftende Arbeiter in Fabriken im Schichtbetrieb. Von der Startbahn losdonnernde Flugzeuge im Minutentakt. Pause! Viele weitere Szenen des Alltags ließen sich mit ähnlichen Bildern illustrieren. Darstellungen einer Nonstop-Gesellschaft, in der Rast- und Ruhelosigkeit zum Taktstock des Lebens geworden sind. Bei meinen Vorträgen erzähle ich zu diesem beschriebenen Szenario passend sehr gerne eine Parabel aus Afrika, die folgende Geschichte beschreibt: „Jeden Morgen wacht in Afrika eine Gazelle auf. Sie weiß, sie muss schneller laufen als der schnellste Löwe, um nicht gefressen zu werden. Jeden Morgen wacht in Afrika aber auch ein Löwe auf. Er weiß, er muss schneller als die langsamste Gazelle sein. Sonst würde er verhungern.“ Schlussfolgernd lautet die Botschaft, dass es eigentlich egal ist, ob man Löwe oder Gazelle ist. „Wenn die Sonne aufgeht, muss man rennen!“

In nicht wenigen meiner Blogs habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was die Ursachen einer beschleunigten Gesellschaft sind, in der immer weniger Menschen mitkönnen. Einen akademischen Diskurs möchte ich heute nicht führen. Ein Wort, hat es mir angetan, das für mich fast schon in Vergessenheit geraten und wie aus dem Nichts vor mir aufgepoppt ist. Der Müßiggang! Eine Begrifflichkeit, die für einige von uns vielleicht eine negative Konnotation besitzt, aber in einem eklatanten Kontrast zu den eingangs formulierten Bildern steht. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard befand schon zu seiner Zeit, dass “Der Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels” sei, wenngleich er in der christlichen Theologie als Laster abgestempelt und mit Faulheit in Verbindung gebracht wurde. Der österreichische Schauspieler von Weltrang, Klaus Maria Brandauer, hat dieser Tage für mich wohltuend in einem Interview gefordert Es sollte sogar ein Menschenrecht auf Langeweile geben!“, den dieser Zustand sei für ihn keine Sünde, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für kreative Gedanken. Der 1943 im steirischen Bad Aussee geborene Charakterdarsteller schwört auf den kurzweiligen Müßiggang,der einem Kraft und Energie für neue Herausforderung und Ideen verschafft. Schließlich muss jeder einmal abschalten und entspannen.Genau, die Stopptaste in uns gibt es ja auch noch, erinnern Sie sich? Manchmal ist diese Erinnerung in uns zu sehr verschüttet, da jeder Millimeter Stillstand in unserem Dasein mit dem Einzug erst von Computern, dann durch das Internet und später von Facebook, Twitter und Co. nochmals beschleunigt wurde. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, lautet ein altes Sprichwort. Vielleicht wäre aber bei zeitgemäßer Betrachtung dieser Müßiggang die einzige Chance, durch zeitweise gelebten Stillstand wiederum mehr an der Sinngebung des Lebens zu erfahren!