Glücksbalsam
Man kann es drehen und wenden wie man will: Ich bin davon überzeugt davon, dass das Streben nach ein wenig Glück zu den großen Sehnsüchten von uns Menschen gehört. In erster Linie würde ich da gar nicht materielle Dinge benennen, die uns im Hier und Jetzt zufriedener werden lassen. Es sind vielerorts die kleinen Freuden des Lebens, nach welchen wir uns sehnen. Die Hoffnung, einen Tag unbeschadet zu überleben, abends wieder mit heilen Knochen sein Heim zu erreichen, oder den Wunsch erfüllt zu bekommen, dass die Familie, dass liebgewordene Freunde von Unheil verschont bleiben. Und sollte die materielle Existenz bildlich gesprochen für ausreichend Essen und ein Dach über dem Kopf sorgen, dann ist das vermutlich für viele von uns schon Alltagsglück genug. Die Fähigkeit, sich des Lebens zu erfreuen und sein Dasein als Glücksfall zu empfinden, ist eine jener Eigenschaften, die Gefahr läuft, in unserem Inneren immer mehr verschüttet zu werden. In einer Gesellschaft, in der tagtäglich nach noch mehr Profit, nach noch mehr Produktivität und nach noch mehr Effizienz gejagt wird, bleiben viele tatsächlich sinnstiftende Faktoren auf der Strecke.
Dazu fällt mir erneut die Geschichte des Königreiches Bhutan ein, dem kleinen Staat im Himalaya, der 2008 das Bruttonationalglück als Index für die Zufriedenheit seiner Bürger in der Verfassung verankert hat. Vier gedankliche Säulen tragen diese weltweit einzigartige Idee: “Der Schutz der Umwelt. Eine gute Regierung, die sich das Wohlergehen der Bevölkerung zum Ziel setzt. Ein lebendiges und reiches Kulturleben. Und als viertes eine wirtschaftliche Entwicklung, die gerecht und nachhaltig ist.” Mir ist schon klar, dass der Staat nicht “Glück für alle” verordnen kann, aber ich halte diese Idee für einen wunderbaren Kontrapunkt zu den sich sonst immer gleichenden Programmen von Obrigkeiten rund um den Globus. “Eine Regierung kann zwar die Menschen nicht glücklich machen, aber sie kann eine Umwelt schaffen, in der sie sich voll entfalten können”, bringt der Leiter des “Zentrums für Bruttonationalglück”, Dr. Tho Ha Vinh, sein Verständnis auf den Punkt. Ein Merksatz, den sich einige Politiker ins Stammbuch schreiben sollten. “Denn Glück ist nur dann möglich, wenn die physischen, seelisch-emotionellen und geistigen Bedürfnisse der Menschen befriedigt sind”. Und da scheint einiges im Argen zu liegen, wenn ich mir als ein aussagekräftiges Beispiel die kontinuierlich zweistelligen Wachstumsraten der “Burn-out Industrie” vor Augen führe. Ein Teil der Verantwortung für unser persönliches Wohlbefinden liegt zweifelsohne bei uns selbst, aber maßgeblich sind ebenso jene in die Pflicht zu nehmen, die den Rahmen für das Wohlergehen der Bürger definieren.
“Glück braucht Mut” lautet eine zentrale Erkenntnis des Programmdirektors für Bruttonationalglück in Bhutan. Meist sind es die nicht getroffenen Entscheidungen, die uns die Freude nehmen, die nicht beschrittenen Wege, nach denen das Herz ruft. Und ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, irgendwann hat die Vergangenheit unsere Zukunft aufgefressen. Also was haltet uns davon ab, Dinge einfach zu tun, den Schritt aus der Lethargie raus in die Aktion zu wagen? Seit 2013 gibt es übrigens den internationalen Tag des Glücks, den die UNO 2012 beschlossen hat. Der 20. März markiert fortan den Tag im Jahr, der jenen Staaten und Gemeinschaften Anerkennung zollen soll, “die begonnen haben, Wohlstand auf eine Art und Weise zu messen, die über den materiellen Besitztum hinausgeht”. Der Frühlingsanfang wurde ganz bewusst gewählt, da an diesem Datum Tag und Nacht gleich lang sind. “Der Internationale Tag des Glücks soll in besonderem Maße für Aktivitäten auf der ganzen Welt genutzt werden, die dem Glück besondere Aufmerksamkeit schenken”. Vor nicht all zu langer Zeit habe ich das Recht auf Müßiggang eingefordert. Die in diesem Sinn gewonnene freie Zeit dafür zu verwenden, um über den Wert des Glücks und des Wohlbefindens nachzudenken, könnte ein für die Seele wohltuender Balsam sein.