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Narrenschiff

Niemand wird in meiner Biografie nur den kleinsten Anhaltspunkt finden, dass ich auf der rechten Seite des politischen Spektrums stehen könnte. Ich habe bei der letzten Wahl weder türkis noch blau gewählt und ich wundere mich wie viele andere Bürgerinnen und Bürger ebenso, dass die Roten einen derart desaströsen Wahlkampf geführt haben, der sie vom Machtzentrum der Republik auf die Oppositionsbänke im Parlament beförderte. Ebenso wenig verstehe ich, dass sich die GRÜNEN ihres Markenkerns entledigt und in weiterer Folge ihre Daseinsberechtigung im Hohen Haus verloren haben. Dass ich diesmal ausgerechnet jener Liste meine Stimme gegeben habe, deren personifizierte Kontrollabteilung der Republik wegen unappetitlicher Vorwürfe nicht mehr im Parlament sitzt, kann unter der Kategorie „blöd gelaufen“ abgetan werden. Und nun habe ich diese permanente Echauffiertheit in unserem Lande nach der letzten Wahl langsam richtig satt! All den politischen – meist links stehenden – Ereiferern gehört ins Stammbuch geschrieben: Wir haben diese Regierung, weil ihr nicht fähig gewesen seid, einen Wahlkampf zu führen, der die Menschen überzeugt hat! Ich erinnere nur an Slogans wie „Holt euch, was euch zusteht!“ oder besonders wirkungsvolle Plattitüden wie „DAS IST GRÜN“. ÖVP und FPÖ haben die Wahlen deshalb gewonnen, weil SPÖ und GRÜNE schlicht und einfach unfähig gewesen sind Kopf, Herz und Bauch der Menschen mit ihren Konzepten zu erreichen, geschweige denn zu überzeugen.

Nun haben wir eben jene Regierung – die wohlgemerkt nicht meine Option ist (!) – die die demokratische Mehrheit in diesem Land bildet. Und schon tönt überall der lautstarke Naziverdacht. Es wird leichtfertig übertüncht, dass geschichtlich betrachtet fast alle Altparteien Nazis in ihren Reihen hatten. Sogar die Grünen, wenn auch jene in Deutschland, wo es ein Nazi bis in den Bundestag schaffte, aber dann sein Mandat nicht angenommen hat. Und die SPÖ? Die Minderheitsregierung Kreiskys, der dieser Tage seinen 107. Geburtstag gefeiert hätte, erlangte Regierungsfunktion, weil der Nazi Friedrich Peter (FPÖ) von der SPÖ reichlich beschenkt wurde. Dass dann in der Regierung Kreisky 4 ehemalige Nazis vertreten waren und der von der SPÖ nominierte Innenminister noch nach Kriegsende (1947) in Neonazi-Aktivitäten verstrickt gewesen ist, sei nur vollständigkeitshalber erwähnt. Dagegen ist der aktuelle blaue Innenminister ein „lupenreiner Demokrat“ (© der Begriffsdefinition by Gerhard Schröder). Und auch wenn die ÖVP keinen Nazi in der Bundesregierung hatte, dann gab es auf Länderebene – wie im heiligen Land Tirol – ebenso Funktionäre mit ideologisch braunem Grundsatz, die dort zu den politischen Spitzenrepräsentanten gehörten. Was ich damit sagen will: es wären all jene, die jetzt so gerne mit der Nazi-Keule schwingen, gut beraten, einmal in ihren eigenen Geschichtsbüchern nachzulesen, bevor das standardisierte FPÖ-Bashing zur einzigen politischen Kompetenzvermutung wird. Mir wird das langsam wirklich zu fad und zu eintönig. Wenn reflexionsartig nur noch politisches Kleingeld gewechselt und Sprache als taktisches Ablenkungsmanöver strapaziert wird, wird der zunehmenden Politikverdrossenheit bedenklicher Vorschub geleistet.

Im März 2018 jährt sich der 80jährige Anschluss Österreichs an das Nazi-Deutschland. Im vergangenen Jahr habe ich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) ein Schriftstück entdeckt, das Schauspieler, Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle auflistet, die für den Anschluss geworben haben. Alle Zitate der „braunen Testimonials“ sind dort dokumentiert. Ich verfolgte eine Zeit lang die Idee, diese weitgehend unbekannten Texte in einem Buch zu veröffentlichen, aber ein Medien- und Urheberrechtsanwalt hat mir davon abgeraten, da mich die Nachfolger und Erben der betroffenen Familien klagen könnten. Schnitt! Unlängst bin ich im Wiener Burgtheater bei einer Führung gewesen. In der Ahnengalerie, die in den Gängen dort angesiedelt ist, hängen noch immer einige Ölgemälde jener Künstler, die den Anschluss zum 3. Reich lautstark unterstützt und beworben haben. Unzählige Kulturminister der SPÖ waren nicht in der Lage, das ehrwürdige Haus am Ring von dieser Schande zu befreien – die Frage ist, warum? Vielleicht schafft das ja die neue türkisblaue Bundesregierung, es wäre mir ein besonderes Anliegen! Am Ende des Galerienrundganges in einem der bedeutendsten Bühnenhäuser Europas, das im Oktober 1888 eröffnet wurde, wird die Totenmaske Oskar Werners gezeigt. Der großartige Schauspieler formulierte in seiner Rolle als Dr. Willie Schumann im US-Streifen „Das Narrenschiff“ einen ganz einfachen wie ebenso wirkungsvollen Appell: Sagt nie wieder jawohl, damit hat der ganze Scheiß begonnen!” Dem ist wohl nichts hinzuzufügen!