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Meine Frau Rotky

Wissen Sie noch, wie Sie in mein Leben getreten sind? 2013 haben Sie mir eine Mail geschrieben. Sie waren auf der Suche nach einer Schulfreundin, haben sie – wie wir heute sagen – gegoogelt und deren Namen in einem meiner Blogs gefunden. Daraufhin haben Sie mich kontaktiert, um von mir zu erfahren, ob ich Ihre Klassenkameradin aus Grazer Zeiten kenne. Ich hatte Ihnen geantwortet und Sie als Herrn angesprochen, weil Ihr Vorname Renée lautete. Erst nach unserer dritten oder vierten Mail haben Sie mich aufgeklärt, dass Sie kein Mann, sondern eine Frau sind. Oh Gott, war mir das peinlich! Was für ein Fauxpas! Aber in Erinnerung bleibt mir, dass Sie das mit Humor genommen haben, mir noch, um es in Ihren Worten zu sagen, kurz mitteilten, dass Sie seit der frühesten Jugend verwechselt werden. Als Beweis haben Sie mir ein Foto übermittelt. Kurz darauf haben wir uns erstmalig gesehen. Ich besuchte Sie, liebe Frau Rotky. Läutete an der Tür Ihrer Wohnung und vor mir stand eine gebrechliche, ältere Dame. Unglaublich herzlich haben Sie mich empfangen. Sie, dich sich so schwer getan hat zu gehen, hatten für mich beim benachbarten Feinkostladen sogar ein paar Brötchen und einen Wein organisiert, ein ganz klassischer Empfang. Und ganz fein hatten Sie sich gemacht. Erst später konnte ich erfahren, was das für ein Aufwand für Sie gewesen ist, mich willkommen zu heißen.

So oft habe ich Sie in all den Jahren besucht, liebe Frau Rotky. Wie haben Sie sich immer auf unsere “Dates” gefreut, und wie schick haben Sie sich dann gemacht, trotz all Ihrer Gebrechlichkeit. Den Wein gekühlt, Knabbereien auf den Tisch gestellt. Was für ein Aufwand! Wir haben viel und gerne diskutiert, und Ihr Leben hat mir die facettenreichsten Geschichten erzählt. Was haben wir gelacht, als Sie mir von den vielen Anfeindungen erzählten, weil ihr Partner als Schauspieler im Fernsehen mit einer anderen Frau „liiert“ gewesen ist – in der Realität aber mit Ihnen. Viele Menschen konnten das nicht unterscheiden und haben Sie als Ehebrecherin beschimpft. Wie oft haben Sie mir Episoden erzählt, liebe Frau Rotky. Schöne und wunderbare Geschichten, die nur ein langes Leben schreiben kann. Köstlich und unvergesslich die Geschichte mit dem Hochwürden, den Sie bekehren wollten. Ausgegangen sind wir beide auch. Sie haben sich elegant gekleidet und wir sind nur zum Italiener vis-à-vis von Ihrer Wohnung, aber gegangen sind wir eine Ewigkeit. Sehr schwach sind Sie gewesen. Ich habe Sie gestützt, Sie ins Lokal geführt. Und Sie sind vor mir gesessen, liebe Frau Rotky, immer mit diesem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Wir haben uns von Ereignissen erzählt und haben unendlich viel gelacht. Viele Freunde von mir haben Sie dadurch kennengelernt, ohne Sie je wirklich zu kennen. Menschen aus meinem Umfeld habe ich erzählt, dass ich wieder mal meine Frau Rotky besuche, die ältere Dame, die so viele Schnurren zu erzählen weiß, aus der Welt des Theaters und der eines langen Lebens.

Immer haben Sie mir gesagt, liebe Frau Rotky, dass das Leben ein paar Spuren an Ihnen hinterlassen hat. Den Süchten waren Sie nie abgeneigt, wie ich erfahren konnte. Die Konsequenz dieser Lebensweise hat Sie viele Male ins Spital gebracht, wie auch zum Ende des letzten Jahres. Ich habe Sie im Krankenhaus besucht, wie schrecklich ist das für mich gewesen, Sie, liebe Frau Rotky, unter all diesen leidenden Menschen zu sehen. Über Jahre habe ich Sie Monat für Monat besucht, aber unser Date im Spital hat mich besonders tief berührt. Wieder haben Sie sich fein gemacht und geschminkt, Haltung bewahrt und gezeigt, selbst in dieser Situation! Sehr stolz war ich auf Sie, liebe Frau Rotky. Über meine Blumen, haben Sie sich riesig gefreut, Pläne für das Frühjahr 2016 haben wir geschmiedet. Unser erstes Treffen im neuen Jahr haben wir geplant. Und dann, am vergangenen Wochenende, sprach ich noch mit einer gemeinsamen Bekannten über Sie. Sie beide hatten miteinander telefoniert, und da kam plötzlich kein gutes Gefühl in mir auf. Heute habe ich Sie angerufen, liebe Frau Rotky. Auf Ihrem Handy kam die Meldung, dass die Nummer nicht vergeben sei, am Festnetz ebenso. In unendlich großer Sorge bin ich ab diesem Moment gewesen. Meine liebe Freundin konnte schließlich in Erfahrung bringen, was mit Ihnen los ist. Ihr Bruder hat uns mitgeteilt, dass Sie verstorben sind. Wissen Sie, wie ich mich fühle, liebe Frau Rotky? Wir hatten doch noch ein Date vereinbart. Und Sie lassen mich jetzt einfach sitzen? Ich bin fast ein wenig böse auf Sie, weil Sie sonst so verlässlich gewesen sind! Was mach ich nun mit all dieser Traurigkeit, die mich umhüllt, weil ich Sie nicht mehr unter uns weiß? So oft bin ich zu Ihnen gefahren, bin ich Ihnen quasi gefolgt. Diesmal werden Sie noch ein wenig warten müssen, bis wir unser Date nachholen. Ich wünsche Ihnen so sehr, dass Sie einen schönen Platz im Himmel gefunden haben. Er sei Ihnen vergönnt!

In großer Dankbarkeit und ewiger Erinnerung an meine Frau Rotky,

Ihr GS