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Ein Fest fürs Leben

„Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst“, schrieb Ernest Hemingway in seinem letzten Buch „Ein Fest fürs Leben“. Die vergangenen Tage habe ich – eigentlich unbeabsichtigt zur selben Zeit wie das Österreichische Fußballnationalteam – in Frankreichs Hauptstadt verbracht. Wenn man nicht nahezu zwangsweise zur Abteilung „Wir sind Fußball“ dazugehört und die eigenen Landsleute in der „Stadt an der Seine“ beobachten konnte, dann ereignete sich so manches Rudelverhalten auf einem ähnlichen Niveau des Fremdschämens, wie die sportlich erbrachte Leistung der angeblich besten Fußballer unserer Nation. Paris ist nun sportlich gesehen für Österreich vorbei, aber die Faszination von Paris bleibt für mich unzweifelhaft weiter bestehen, um an das entliehene Anfangszitat von Ernest Hemingway in meinem Blog zurückzukehren. Die Anfang der 1920er Jahre vom späteren Literaturnobelpreisträger protokollierten Beobachtungen haben nichts an Bedeutung verloren, „es ist eine liebevolle Hommage an Paris, gespickt mit Begegnungen mit Künstlern und der lebhaften Kultur der Zwanziger“. Die tragischen Terroranschläge von Paris im vergangenen Jahr bescherten dem Bestseller eine neue Hochkonjunktur. Tausende Trauernde hielten bei Gedenkfeiern das Buch in Händen, sogar zwischen Blumen und Kerzen wurde es bei den Anschlagsorten abgelegt. Alleine der Titel „Ein Fest fürs Leben“ scheint vielen Menschen einen positiven Impuls zu geben, ein lebensbejahendes Signal, ein Manifest und einen Kontrapunkt zu all dem, was Menschen im Hier und Jetzt abverlangt wird.

Für mich kann ich gar nicht genau ausmachen, was mich so an dieser Stadt fasziniert. Vielleicht ist die Metropole an der Seine einer der letzten Orte auf diesem Planeten, wo glücklicherweise noch immer ein unbändiges Savoir-vivre den Alltag erhellt. Ich meine damit eine Grundhaltung, die nicht alles dem Joch eines immer unverständlicheren Optimierungs- und Rationalisierungswahns unterordnet, sondern dem Genuss des Lebens verpflichtet zu sein scheint. Diese unvergleichbare Stadt ist übersät von Feinkostgeschäften an jeder Ecke, von richtigen und wunderbar duftenden Bäckereien, jedes noch so kleine Lokal offeriert den Menschen genussvolle Rückzugsmomente und lädt ein, den Alltag zu unterbrechen, das Leben zu genießen, Gespräche zu führen und Kraft zu tanken. Wenn ich in Wien durch die Stadt gehe und die immer mehr werdenden Fressbuden an jeder Ecke sehe, wo es nur darum geht, sich mit immer weniger Geld den Magen mit Einheitskost vollschlagen zu können, dann ist das für mich eine wenig verheißungsvolle Perspektive. Jetzt weiß ich schon, dass es für viele Menschen immer schwieriger wird, den Alltag zu bestreiten und jeder Cent (früher Schilling) sprichwörtlich zweimal umgedreht werden muss. Aber ich finde, dass man sich in allen Lebenslagen ein gewisses Maß an Restwürde bewahren muss. Auch ich habe in meinem bisherigen Leben viele gute und auch mich fordernde Zeiten erlebt, aber manchen mir wichtigen Dingen hätte ich nie abgeschworen. Und dazu gehört für mich, den Aspekt des Genusses in allen Lebenssituationen zu berücksichtigen, ihn zu inhalieren und zu verinnerlichen. Meiner Einschätzung nach,  und auch die anerkannte Wissenschaft hat bislang keine anderen Belege geliefert, ist unser aller Leben optional gesehen nicht verhandelbar. Will heißen, dass eine zweite, dritte oder vierte Lebenszeit eher unwahrscheinlich ist.

Zum Land und zum Thema Genuss des Lebens passend fällt mir wieder mal der der französische Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) ein, den ich schon an anderer Stelle in meinen Notizen zum Alltag zitiert habe. Er bemerkte schon zu seiner Zeit „Wir dürfen niemals vergessen: Unsere vornehmste Aufgabe ist es, zu leben.“ Eine vom Institut Rheingold Salon im Jahr 2012 veröffentliche Studie „Die Unfähigkeit zu genießen“ gibt da wenig Hoffnung, ob die Botschaft beim Volk schon angekommen ist. Wir sind am besten Weg, das Genießen zu verlernen, so die ernüchternde Schlussfolgerung. Der 1375 verstorbene und 1313 in Paris geborene Schriftsteller Giovanni Boccaccio nannte eine ganz einfache Formel, um den Genussfaktor zu überprüfen: „Es ist besser, zu genießen und zu bereuen, als zu bereuen, dass man nicht genossen hat.“ Dem gibt es aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Ob Sie Paris so empfinden wie ich, das kann ich nicht beurteilen, ob Sie meine Sichtweisen teilen, weiß ich ebenso nicht, was ich Ihnen allen aber ans Herz legen möchte ist die Botschaft, machen Sie aus jeder Lebenssituation das Beste. Ein Besuch in Paris könnte vielen meiner MitmenschInnen zeigen, dass das Leben ein Fest sein kann. Wenn Sie andere geografische Bezugspunkte für sich entdeckt haben, um dem Leben ehrlich Freudvolles abgewinnen zu können, auch gebongt! In diesem Sinne, feiern Sie Ihr Fest des Lebens!