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Nachdenktage

Die Suche nach Ruhe und Erholung trieb mich am langen Allerheiligenwochende in die Kärntner Bergwelt. Am Montag gönnte ich mir einen ausgedehnten Saunagang in der hauseigenen Bio-Sauna, die zu meiner Überraschung mit einem Flatscreen ausgestattet war. Beim Zappen durch die Kanäle blieb ich auf N-TV hängen, wo gerade die Trauerfeierlichkeiten anlässlich des Todes von Loki Schmidt aus der Hamburger St. Michaelis-Kirche übertragen wurden. Es machte mich betroffen zu sehen, wie der große Staatsmann Helmut Schmidt sich mit größter Disziplin mühte, die Fassung zu bewahren. Wie er seine Hände betrachtete, am kleinen Finger der rechten den Ehering seiner geliebten Gefährtin. Wie er sein Hörgerät immer wieder Richtung Rednerpult hielt, um nur keines der Worte zu verpassen, die man an diesem traurigen Tag vor knapp 2.000 Trauergästen an seine verstorbene Frau richtete.

Die Kommentare der übrigen Saunagäste, die sich darüber alterierten, dass man für „irgendeine Alte so ein Tam Tam macht“ machten deutlich, dass niemand außer mir wusste, wer hier zu Grabe getragen wurde. Eine Ignoranz und Respektlosigkeit, die mich wütend und zugleich nachdenklich macht. Denn Loki Schmidt hat mir größten Respekt abgerungen. Zeitgeist war Loki Schmidt egal, vermutlich hätte sie über dieses Wort die Nase gerümpft. Die kluge, zielstrebige und dabei immer bescheidene und bodenständige Frau an der Seite des deutschen Altkanzlers verkörperte für mich Ideale und Werte, die wir heute alle bitter nötig hätten.

Loki Schmidt stand für Respekt, Achtsamkeit und Freundlichkeit gegenüber Mensch, Tier und ihrer Umwelt. Jedes Interview, dass ich von ihr hörte oder sah, zeigte ihren klugen, klaren Geist, ihre Haltung, ihren Witz, ihr Rückgrat. Wie armselig, stumpf, fad und geistlos erscheint da der Salmon, den wir heute von Möchtegernpolitikern und ihrer Entourage kennen, wenn sie sich selbstverliebt Wählern und Medien anbiedern.

Loki Schmidt stand für den Anspruch, dass jeder, der sich anstrengt, der nur unbeirrbar und beharrlich genug ist, im Leben alles sein kann: Lehrerin, Gesprächspartnerin des Kaisers von Japan, Ehrenbürgerin der Stadt Hamburg. Und die Autorin von wichtigen Büchern über Pflanzenarten, botanische Gärten und Naturschutz. Dass eine Arbeitertochter, die sich als Kind so sehr wünschte, Naturforscherin zu werden, nach ihrem ersten Beruf in der Schule und ihrem zweiten Beruf an der Seite des Kanzlers tatsächlich die Natur beobachtete, erforschte, beschützte, und dass sie dafür so große Anerkennung fand.* Und das zu einer Zeit, wo die meisten Menschen noch nicht mal eine Ahnung hatten, welch wichtige gesellschaftspolitische Dimension der Umweltschutz in unserer heutigen Zeit erlangen wird.

Loki Schmidt brauchte keine Emanzipation. Für sie stand nie zur Debatte, ob Frauen das Gleiche können oder dürfen wie Männer: Sie selbst war schließlich das beste Beispiel dafür, dass sie konnten. Obwohl sie aus ärmsten Verhältnissen stammte, studierte sie, ernährte die Familie, zog die Tochter groß, finanzierte ihrem Mann das Studium. Kriegswirren und Bombennächte hatte sie ohnehin allein ausgehalten.*
Loki und Helmut Schmidt kannten einander 81 Jahre, 69 davon waren sie miteinander verheiratet. Eindrucksvoller kann man doch die Idee der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr leben. Jeder hat seine Aufgabe und trägt zum Gelingen des Ganzen bei. Nur in einer solchen Konstellation kann absolutes Vertrauen entstehen. Ein Refugium, eine ruhige Insel für den Geist. Bis zuletzt hatte die beiden am Nachmittag ihre Partie Schach miteinander gespielt. Dabei war sie immer mehr als die Frau an der Seite ihres Mannes. Mit großer Souveränität und Menschlichkeit begleitete sie Helmut Schmidt. Sie war ihm nah und führte doch ihr eigenes und unabhängiges Leben. Sie hörte nie auf zu lernen und war zutiefst davon überzeugt: Wir alle sollten offen sein für Neues und sollten aufeinander zugehen.**
Vielleicht sollten wir manche Feiertage durch Nachdenktage ersetzen. Tage, an denen Menschen angehalten werden, über den eigenen Tellerrand hinaus die Entwicklungen der Zeit zu reflektieren. Ja, ich denke, das wäre eine gute Idee.

* Quelle: www.zeit.de** Nachruf von Reinhold Beckmann, www.bild.de Buchtipp: Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde, Loki Schmidt, Verlag Hoffmann und Campe (2010)