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Wer war Aaadooolf Itler?

Auf Rai Uno gibt es im Vorabendprogramm ein seit 2006/2007 von Carlo Conti moderiertes Quiz mit dem Namen L’eredità (Die Erbschaft). Dieser Tage fragte der Moderator die Kandidaten: “In welchem Jahr wurde Adolf Hitler zum Kanzler ernannt?” Vier Jahreszahlen standen den Teilnehmern zur Auswahl. “1948!” lautete die erste schnelle Antwort einer weiblichen Kandidatin. Daraufhin tippte ein Mann auf 1964. Nach ihm kam wieder eine Frau an die Reihe, sie hatte nur noch die Jahreszahlen 1979 und 1933 zur Auswahl. Sie entschied sich für 1979! Der aus Florenz stammende 53jährige Quizmaster brüllte völlig konsterniert: “Aaadooolf Itler!!! Entschuldigt, mir fehlen die Worte.” Auch mir fehlten die Worte, als ich diese Geschichte als Notiz in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung gelesen habe. Bei dieser Frage ging es ja nicht um den exakten Tag der Amtseinführung des “Irren aus Braunau”, sondern um die korrekte zeitgeschichtliche Zuordnung einer Person, die wohl für das schlimmste Kapitel der Menschheitsgeschichte verantwortlich ist und nicht nur jenem des letzten Jahrhunderts.

Vor mehreren Tagen habe ich einige Zeit im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes zugebracht. Die 1963 gegründete Institution mit Sitz in Wien sammelt und archiviert Themen wie Widerstand, Verfolgung und Exil während der Zeit des Nationalsozialismus, NS-Verbrechen, NS- und Nachkriegsjustiz, Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland nach 1945. Derzeit arbeite ich an einem Projekt, für welches mich die Suche nach Informationen schon mehrfach an diesen Ort geführt hat. Es ist jedes Mal ein bedrückendes Gefühl, wenn einem die gewünschten Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Man öffnet ein Kuvert und zieht Dokumente heraus, deren Entstehung irgendwie immer mit Gewalt, mit Blut, mit Folter zu tun haben. Es sind Protokolle des Schreckens, die mir beim Lesen die Gesichtszüge erstarren lassen. In dieser Woche habe ich einige Polizeiprotokolle eingesehen, die alleine im Stil, wie sie geschrieben sind, so viel an Menschenverachtung vermitteln, dass es körperlich schmerzt. Die Frauen und Männer, die in die Fänge des Unrechtsregimes kamen, wurden auf brutalste Art all ihrer Würde beraubt. Die nachgelesenen Texte machen bewusst und schärfen die Gedanken dafür, dass niemals aufgehört werden darf, mit aller Lautstärke und bei jeder Gelegenheit an diese grausame Epoche zu erinnern, die Millionen von Menschen das Leben gekostet und eine Unzahl von Familien zerstört hat.

Am 8. Mai 2010 sagte Italo Tibaldi, der damalige Vizepräsident der A.N.E.D. (Nationaler Verein ehemaliger Deportierter in Italien) bei der Feier anlässlich 65 Jahre Befreiung des KZ‐„Zement“ in Ebensee: “Ich möchte Zeugnis ablegen, von den dramatischen Ereignissen, der Unterdrückung, der grundlosen Gewalt, die wir hier erlitten haben. Das ist die Aufgabe, die wir seit unserer Befreiung vor 65 Jahren übernommen haben. Die Erinnerung an dieses Lager hat uns unser gesamtes Leben lang gequält. Die Historiker werden die Geschichte schreiben, die Überlebenden haben die Erinnerung.” Ein weiterer Überlebender des KZ Ebensee, Andrew Sternberg, sagte bei der selben Gedenkfeier: “Erinnern wir uns: das, was in den Konzentrationslagern geschah, blieb nicht nur auf die Ermordung von 6 Millionen Juden beschränkt. Die barbarische Politik von Männern wie Hitler, Göring, Himmler und Eichmann führte in den Lagern zum Tod von weiteren 5 Millionen Menschen.” Irgendwann wird der letzte KZ-Überlebende gestorben und niemand wird mehr da sein, der Zeugnis ablegen kann, über die Wahrheit darüber, was in den Konzentrationslagern geschehen ist. Dieser Umstand sollte für alle Demokraten Verpflichtung sein, nie zu vergessen, was an menschlicher Grausamkeit möglich gewesen ist. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum deutschen Reichskanzler ernannt. In wenigen Monaten beseitigte sein NS-Regime den Rechtsstaat. Für all das, was in dieser unrühmlichen Epoche geschehen ist, fehlen mitunter die Worte, um Geschehenes in Sprache zu fassen. Kein Mensch sollte nicht darüber Bescheid wissen, wer Adolf Hitler gewesen ist, weder in einer Quizshow, noch im realen Leben.

Nachtrag vom 27. 01.2014: Vor 69 Jahren wurden die Überlebenden der Konzentrationslager in Auschwitz befreit. Daher wird heute der “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” begangen. Der spanische Philosoph und Schriftsteller George Santanaya bringt unsere Verantwortung auf den Punkt: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“