Tristesse am Südzipfel
Neue Besen kehren gut. In Punkto Journaille trifft diese These oft nicht einmal im Ansatz zu. In der ZEIT schreibt neuerdings Joachim Lottmann als neuer Österreich-Kolumnist. Lottmann ist vermutlich ein großartiger Schriftsteller, aber was er anlässlich des dritten Todestages von Jörg Haider aufs Papier brachte ( http://www.zeit.de/2011/41/A-Kneipe/seite-1), ist für mich nichts als prätentiöser Schwachsinn.
In Lottmanns Glosse geht das nämlich so: Klagenfurt ist ein trostloses Provinznest, in dem alle ob der permanenten Tristesse zur braunen Brut überlaufen. Im Headquarter der Nazis, der Gastwirtschaft zum Pumpe, „sitzen die Trachten-Granden an dunklen Holztischen vor dunkler Holzvertäfelung im dunklen Wirtsraum und schlagen mit den Fäusten auf die Tischplatten und geben urtümliche Laute von sich.“ Der Kärntner Landesfürst ging in dieser Brutstätte reaktionären Gedankengutes ein und aus. Versteht sich von selbst. Zur Regeneration von dieser derben Männerriege suchte er Zuflucht und Geborgenheit in der Gegenwelt der Klagenfurter Schwulenkreise. Meist bei den ganz einfach gestrickten Homosexuellen im schmierigen Beisl „Zum Stadtkrämer“. Dort hat er sich nämlich am wohlsten gefühlt. Hat Lottmann vor Ort recherchiert. Das ist aber auch schon alles. So weit so eindimensional.
Ich würde gerne ein paar Worte zu Jörg Haider verlieren. Und ich kann das ohne Gefahr, weil bei mir sicher niemand auch nur den geringsten Anhaltspunkt finden wird, um mich in die Nähe einer rückwärtsgerichteten Ideologie bringen. Die Person Haider in einer Milieustudie zwischen zwei Welten abzuhandeln ist unzulänglich. Sein politisches Ausnahmetalent nicht zu erwähnen ebenso. Die zentrale Frage auch drei Jahre nach Jörg Haiders Tod müsste doch lauten: Warum sind die anderen noch immer so schwach, obwohl es ihn nicht mehr gibt? Ich will nicht Haiders ideologische Rülpser besprechen. Die sind mit nichts zu rechtfertigen, ich weiß. Aber hat die breite Masse das interessiert? Wieso haben sie Jörg Haider in Scharen gewählt? In Kärnten sagt man, dass Haider jedem Menschen mindestens zweimal die Hand gegeben hat. Und er hat die Hand nicht nur hingestreckt, er hat sich an die Leute erinnert, er hat mit ihnen gesprochen, er hat zugehört. Haider hat Politik neu definiert, er hat sie bei sachlicher Analyse weitgehend entideologisiert und daraus eine Kommunikationsdienstleistung am Menschen gemacht.
Die Vertreter der Empörungsindustrie werden spätestens jetzt all seine grauslichen und menschenverachtenden Zitate ins Treffen führen, werden sich über ein paar ungeklärte Finanzierungsfragen ereifern und ebenso richtigerweise anführen, dass das südlichste Bundesland neunfach überschuldet ist. Ja, auch all das weiß ich! Aber wieso haben ihn die Leute gewählt? Wieso sind sie ihm von Partei zu Partei gefolgt, egal ob blau oder orange war? Wieso hat er bei seiner letzten Landtagswahl (2004) in Kärnten die FPÖ im Alleingang auf 42,5 % geführt? Wieso hat er bei den Nationalratswahlen mit einer quasi inexistenten Partei (BZÖ) 10,70 % aus dem Stand geschafft? Und wieso haben seine Nachfolger in Kärnten bei der ersten Wahl ohne Jörg 44,9 % eingefahren? Weil alle Wähler geistig unterbelichtet sind? Weil in Kärnten nur ewig Gestrige zu Hause sind?
Während die politischen Gegner noch immer damit beschäftigt sind, den Menschen zu erklären, dass man unter Haider nur knapp am 4. Reich vorbeigeschrammt ist, war er damit beschäftigt bei den Menschen zu sein, mit den Menschen zu reden und ihre Sorgen zu seinen Themen zu machen. Hinsichtlich solcher Kommunikationsqualitäten haben wir bis heute ein riesiges Vakuum, nicht nur am Südzipfel Österreichs, sondern auch in der Bundespolitik. Wenn Sie mich jetzt ins rechte Eck stellen wollen, bitte sehr. Aber, ganz ehrlich: Mir fehlt Jörg Haider nicht. Was aber fehlt in unserem Land ist Gestaltungswille, politisches Talent und Leidenschaft, wie er sie zweifellos hatte. Und wenn die Kaliber rund um Faymann, Spindelegger und Co sich diesbezüglich nichts vom „Gott sei bei uns“ abschauen wollen, dann könnten sie vielleicht einmal bei Max Weber nachschlagen. Der Soziologe hat die wichtigsten Qualitäten eines Politikers als sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und distanziertes Augenmaß beschrieben. Sollten unsere politischen Granden das nicht verinnerlichen, brauchen wir halt wieder einmal neue Besen! Vielleicht hat ja Herr Lottmann eine Idee, wo die herkommen könnten.