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Wir brauchen einen moralischen Neuanfang!

Heute ist wirklich ein irgendwie unterhaltsamer Tag. Zuerst schreibt mir ein lieber Freund aus Bonn eine Mail mit folgendem Inhalt: “Wenn ich mir so manche Dinge in Österreich ansehe, frage ich mich ernsthaft, ob es so etwas nur in Österreich gibt oder auch etwa bei uns. Allein der folgende Artikel haut mich einfach um … vielleicht bin ich ja zu naiv.” Beigefügt hat er mir einen Link zur Tageszeitung “Die Presse”, die das Netzwerk des Lobbyisten Peter Hochegger in der heutigen Ausgabe bespricht. Was antwortet man darauf? Ich habe die Mail noch nicht richtig zu Ende gelesen, als mein Telefon läutet. Eine mir unbekannte Nummer erscheint am Display. Ich nehme das Gespräch an, am anderen Ende eine hektische Stimme, ich höre nur “Du entschuldige, ich komme zu unserem Termin zu spät.” Ich sage, ich habe jetzt keinen Termin, die Stimme am anderen Ende sagt energischer “Doch, wir haben sicher einen Termin ausgemacht.” Ich verneine und sage “Vielleicht bin ich etwas durcheinander, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen Termin hätte.” Mein Gesprächspartner am anderen Ende des Telefons plötzlich mit deutlicher Stimme “Da spricht der XY, wir haben doch einen Termin vereinbart, wir müssen meine Zeugenaussage im Antikorruptionsausschuss des Parlaments vorbesprechen.” Es stellt sich heraus, dass meine Namensgleichheit mit einem Rechtsanwalt zu einer Verwechslung geführt hat. Mein kurzer Gesprächspartner am Handy war ein Lobbyist, der heute aus allen Zeitungen lacht und der, wenn die Medienberichte stimmen, für den Oberlobbyisten Peter Hochegger als gutbezahlter Sublobbyist gearbeitet hat. Vielleicht sollte ich meinem Freund aus Deutschland die Handynummer des mir bekannten Sublobbyisten geben, er könnte dann sozusagen in einer Direktleitung nachfragen, wie es nun in Österreich so läuft. Ich glaube, viel schlimmer, als manche annehmen. Sichtbar wird ja nur gerade das, was eben durch handwerkliches Unvermögen sichtbar wird, könnte man anmerken, wenn man die Arbeit mancher Lobbyisten kritisch beurteilt.

Noch immer denke ich darüber nach, was ich auf die eingangs zitierte Mail antworte könnte. In diesem System habe ich so viel gesehen und erlebt, dass ich “gar nicht so viel fressen kann, wie ich kotzen möchte”. Und es ist auch sinnlos, solche Geschichten an dieser Stelle zu erzählen, da sie dir Außenstehende niemals glauben würden. Dennoch möchte ich eine unterhaltsame Geschichte erzählen, weil sie irgendwie charakteristisch für die politische Kultur in diesem Land ist. Es ist eine wahre Geschichte, muss ich an dieser Stelle betonen. Zu Beginn der zweitausender Jahre habe ich noch öfters im Umfeld der Politik Projekte abgewickelt, da ich bei einem Unternehmen beteiligt war, das eine entsprechende Schwerpunktsetzung hatte. Eines Tages ruft mich ein Regierungsmitglied an und sagt zu mir “Du, ich habe ein Problem mit der Zielgruppe XY. Hast du eine Idee?” Ich sage, dass ich da keine spontane Antwort hätte und darüber nachdenken muss. Nach zwei Tagen meldete ich mich zurück, mein Kunde war von der Idee angetan und folgender Prozess wird in Kraft gesetzt. Der Bürochef des Regierungsbüros ruft mich an uns sagt “Der Chef hat gesagt, wir setzen die Idee um. Du brauchst nur einen Förderantrag mit der Summe XY einreichen, den Rest erledigen wir.” Zum damaligen Zeitpunkt war ich noch einigermaßen geübt, Anträge mit den gesetzlichen Richtlinien kompatibel aufzubereiten. Zwei Wochen später wurde der Förderantrag in der Regierungssitzung einstimmig beschlossen, auf politischer Ebene wurde vorher sozusagen ein Abtausch mit dem Koalitionspartner vorgenommen. Einstimmigkeit hat eben ihren Preis. Wir verplanen im Sinne des Projektes das Budget. Das politische Büro meldet sich, dass wir bei der Budgetplanung ein paar Wünsche von “oben” berücksichtigen müssten. An das Medium XY sei eine Summe zu bezahlen, an die Person XY jene Summe, an das Unternehmen XY auch noch ein paar Euro und so ging es weiter. Wir sagten, wir haben schon fast 90 % des Geldes für Dinge verplant, die nichts mit dem Auftrag zu tun haben. Das war jedem egal, es mussten Netzwerke bedient werden. Das Projekt war mangels Budget ein einziges Fiasko, wir hatten für die Umsetzung nur mehr ein paar Tausend Euro übrig. Wir wurden zu einer Nachbesprechung ins Büro des zuständigen Regierungsmitgliedes eingeladen. Der Chef war außer Haus, der Bürochef saß an der Front eines riesigen Besprechungstisches, zu seiner linken und rechten Seite saßen Referenten des Büros. Wir nehmen am anderen Ende des Tisches Platz. Das Gespräch beginnt, es waren rund 12 Personen im Raum, mit folgendem Satz “Wir sind maßlos von dir enttäuscht, du bekommst von uns mehrere Zehntausend Euro und bist nicht in der Lage ein Projekt erfolgreich umzusetzen. Ich weiß nicht, ob wir mit dir noch weiter arbeiten sollen.”

Diese Geschichte ist beispielhaft für viele, aber funktioniert immer nach dem selben Muster. Die Politik hat ein Problem, weil sie ein paar Wechsel zu begleichen hat. Dafür muss sie Budgets aus dem öffentlichen Haushalt sozusagen nach draußen bringen, damit sie sich in vielen Fällen der Kontrolle entziehen kann. Das geht dann über Agenturen, wie die des Lobbyisten Hochegger oder über staatsnahe Unternehmen, wie die Telekom. Irgendwelche Projekte werden aufgesetzt, damit Personen, Netzwerke, Unternehmen, Medien und wer aller sonst noch bedient werden können. Das hat System, schon seit immer. Das digitalisierte Zeitalter hat den Schutzmantel des Schweigens brüchig werden lassen. Das scheint das wirkliche Problem zu sein! In Österreich kann man aktuell täglich nachlesen, wie geschmiert das politische System läuft. Nicht alle, aber einige wenige sind involviert, die das Kontaktnetzwerk zu den richtigen Stellen im Staat sicherstellen. Das ist ein in sich geschlossener Kreis, der Tempo und Richtung vorgibt, gegen Bezahlung, andere Dienste oder “kleine Gefälligkeiten”. Eine Hand wäscht die andere, oder? Und das ist Normalität, es ist eben nicht die Ausnahme. Es ist Alltag, dass es so läuft und manchmal kommen Machenschaften eben doch ans Tageslicht. Kennen Sie eine aktuelle Stellungnahme der Staatsspitze, die sich von all dem distanziert? Von einem Bundeskanzler, der Entschuldigungsbriefe an die auflagenstärkste Zeitung schreibt und als Zeichen seiner Devotheit Millionen von Euro an Anzeigen- und Medienkooperationsbudgets nachschickt, kann man das nicht erwarten! Jeder weiß, wie es läuft, aber wer tut was, um “die Sümpfe und sauren Wiesen trocken zu legen”, um mit den Worten des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger zu sprechen?

Systeme reproduzieren sich immer selbst, das gilt leider als erwiesen. Deutschland hat seit heute die Chance auf einen moralischen Neuanfang! Was wird Österreich tun, wenn der Antikorruptionsausschuss des Parlaments seine letzte Sitzung abgehalten hat? Ich finde, dass die Leitbilder des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert durch einen Wertekodex abgelöst gehören. Die Karl-Franzens-Universität in der steirischen Landeshauptstadt Graz bietet seit Herbst 2011 als erste österreichische Universität ein Masterstudium für Angewandte Ethik an. Wie wäre es mit einem verpflichtenden Studium/ einer verpflichtenden Grundausbildung für unsere Regierungsmitglieder und Volksvertreter, das könnte den Blick schärfen und das Wertegerüst des Einzelnen wiederum vom Kopf auf die Füße stellen. Das wäre doch ein vielversprechender Neuanfang, oder?