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Vom Ideal des ehrbaren Kaufmanns

Aufgewachsen bin ich in einer Zeit als es noch selbstverständlich war, Menschen, die einem begegnet sind, zu grüßen. Man hatte Respekt vor Lehrern, Polizisten waren natürliche Autoritäten, der Pfarrer im Dorf ebenso, und wenn beispielsweise im Autobus eine ältere Person keinen Sitzplatz hatte, dann ist man unaufgefordert aufgestanden und hat seinen eigenen angeboten. Das war, was die von mir erwähnten Autoritäten anbelangt, nicht blindes Vertrauen in die Obrigkeit, sondern ganz einfach die Akzeptanz von gesellschaftlichen Hierarchien. Nach der Schulzeit, als ich im Berufsleben angelangt war, haben sich diese Verhaltensmuster fortgesetzt, teilweise sogar verschärft. Einmal habe ich in einem Unternehmen gearbeitet, in welchem es Pflicht war, jedes Ersuchen zu beantworten und einer Lösung zuzuführen. Wäre mein damaliger Chef von einem Kunden angesprochen worden, dass in seinem Büro eine Anfrage seit Wochen ohne jegliche Reaktion geblieben sei, hätte es ernsthafte Konsequenzen gegeben. Diese gelernten Umgangsformen oder diese Serviceorientierung sind mir noch heute stark verinnerlicht. Auch wenn ich sehr viel unterwegs bin, versuche ich, in einem angemessenen Zeitraum zu reagieren und Anfragen zu beantworten. Das schafft für beide Seiten Vorteile, für mich ist damit eine unerledigte Aufgabe gelöst, für mein Gegenüber ebenso ein Zustand der Klärung herbeigeführt. Zusammenfassend kann man all das mit einem respektvollen Umgang beschreiben.

Der Montag ist ein typischer Tag für mich, wo ich versuche, offene Dinge abzuklären. Mit der Anzahl der betreuten Projekte steigt der Aufwand dafür. Es ist irgendwie interessant, vielleicht geht es auch nur mir so, aber es gibt bei Angeboten, die man an potenzielle Kunden legt, nahezu immer dasselbe Verhaltensmuster. Zuerst gibt es ein sogenanntes Erstgespräch, dort sitzen dir im Normalfall häufig die sogenannten “Sauger” gegenüber, die selbst nichts wissen, einen Dienstleister nach dem anderen aufmarschieren lassen, über diesen Zugang Ideen generieren, sich freundlich verabschieden und dann hört man nie wieder etwas. Anrufe oder Mails werden nicht mehr beantwortet. Funkstille! Noch dreister wird die Informationsbeschaffung dieser Menschen, wenn sie einem dann eine Karotte vor die Nase hängen, dir erklären, wie toll deine skizzierten Zugänge sind und dich freundlich einladen, deine Überlegungen in Form eines Angebotes zu beschreiben und mit Preisen zu versehen. Auch in diesem Fall bleiben die Chancen sehr gering, dass man jemals wieder etwas von diesen “Auftraggebern” hört. Ich beklage diesen Zustand nicht, ich beschreibe nur das Dasein eines Dienstleisters im 21. Jahrhundert. Von einer Personengruppe, von der immer mehr abverlangt wird, deren Honorare für erbrachte Leistungen immer mehr nach unten gedrückt werden – und das vielfach von Entscheidungsträgern, die noch nie im Monat jenes Geld dauerhaft verdienen mussten, das sie selbst inklusive Abgaben für Krankenkasse und Finanzamt kosten. An solchen Tagen denke ich mir, wieso gibt es immer weniger Menschen in allen möglichen Positionen, die einfach keine Fairness im Umgang mit Menschen haben, die täglich draußen laufen müssen, um am Monatsanfang ihre Fixkosten abdecken zu können und am Ende noch etwas zum Leben haben wollen. All das hat sehr viel mit Respekt und vor allem mit Wertschätzung zu tun. Und diese Form des Umgangs findet meist nicht zwischen Unternehmern statt, sondern zwischen Menschen, die als unselbständig Beschäftigte nicht verstehen, was es bedeutet, als Selbständiger ohne soziale Sicherungsnetze zu arbeiten.

Im Privaten gibt es zu diesen beschriebenen Beziehungswelten durchaus Ähnlichkeiten. Ich nenne das immer “anlassbezogene Freundschaften”. Menschen, die in erster Linie dann erreichbar und eine Verlässlichkeit im Umgang haben, wenn sie einen unmittelbaren Vorteil daraus ziehen. Unlängst habe ich versucht, mit einem sogenannten Freund einen Termin zu vereinbaren. Ich kann für mich behaupten, dass ich für ihn immer wieder kleine Gefälligkeiten, wenn man so möchte, erledigt habe. Diesmal wollte ich über eine Idee sprechen. Der erste vereinbarte Termin wurde kurzfristig abgesagt, auf den zweiten Termin wurde schlichtweg vergessen, der zugesagte Rückruf für einen neue Terminfindung blieb aus. Ein neues Treffen wurde wiederum auf meine Initiative vereinbart, nach langem Hin und Her sollten dann 30 Minuten an Zeit für ein Gespräch möglich sein. Das war mir dann doch zu viel oder zu wenig, wie Sie wollen, ich sagte den Termin ab.

Warum schreibe ich all das, werden sich manche Leser meiner kleinen Kolumne fragen. Im “Der Tagesspiegel”* vom Montag dieser Woche wurde die Führungskräftebefragung 2012 der „Wertekommission* – Initiative Werte. Bewusste Führung e.V.“ präsentiert, an der mehrere hundert Manager aus Deutschland teilgenommen haben. Die zentrale Aussage lautet: Vertrauen, Verantwortung, Ehrlichkeit, Respekt – das Ideal des ehrbaren Kaufmanns ist nicht von gestern, sondern Werte, die wiederum an Bedeutung gewinnen, wenn man den mehrheitlichen Aussagen dieser Studie glauben schenken darf! Das gibt doch Hoffnung, dass die wissenschaftliche Theorie die eingangs beschriebene Praxis überholt.

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