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Viel Feind, viel Ehr!

Ein wenig unfair finde ich das schon: Da bekommen die Granden der internationalen Politik bei  WikiLeaks ihr Fett ab und die heimischen Speerspitzen der Demokratie werden von Herrn Assange und seinen Handlangern mit völliger Nichtachtung gestraft. Wir sollten fast ein bisschen beleidigt sein, ob dieser Ignoranz. Dabei legen sich doch Faymann, Pröll und Co mächtig ins Zeug, und hätten sich eine standesgemäße Beurteilung ihrer Performance redlich verdient. Bitte, wenn Russlands Präsident Dmitri Medwedew „blass“ und „zögerlich“ wirkt und Angela Merkel „selten kreativ“ ist, wie würde erst der virtuelle Klassenbucheintrag für die Damen und Herren unserer Republikspitze aussehen? Da wäre ein Dick und Doof-Double, das dazu angetan scheint, mit traumwandlerischer Sicherheit an der politischen Realität vorbeizuregieren. (Obacht, möglicherweise handelt es sich um gefährliche Schläfer!) Erwähnungswert auch der von Midlifecrisis geschüttelte Zahntechniker mit Rasierfehler und Hang zu üppigen Blondinen. Und an der Entschlüsselung des Terminus „Schottermitzi“ würde eine Heerschar an Dekodierungsexperten kiefeln, um der Charakterisierung unserer verhaltenskreativen Innenministerin gerecht zu werden. All das war aber den Übermittlern der 250.000 Depeschen offenbar nicht einmal eine Fußnote wert. Seltsam eigentlich. Schließlich haben wir hierzulande das Denunziantentum mit der Muttermilch aufgesogen. Anonyme Anzeigen beim Finanzamt oder der Baubehörde sind doch bei uns der Freizeitkick des kleinen Mannes.

Aber mal im Ernst: Ich verstehe die Aufregung nicht. Als politischer Beobachter kann ich den Herren und Damen Diplomaten nur ein sehr gutes Einschätzungsvermögen attestieren. Und die Beurteilungen finde ich vergleichsweise zurückhaltend. Da sind wir doch anderes gewöhnt: Man erinnere sich daran, wie Wolfgang Schüssel den deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer als „richtige Sau“ (weil dieser den deutschen Finanzminister Theo Waigel hintergangen habe) und den dänischen Ministerpräsidenten und Außenminister als „Trottel“ bezeichnet hat. Wenn der deutsche Außenminister Guido Westerwelle als aggressiv beschrieben wird, braucht man ihn nur einmal in einer TV-Debatte gesehen zu haben, um zu wissen, wie er tickt. Und dass Silvio Berlusconi möglicherweise mit dem Alpha Rüden Wladimir Putin Geschäfte gemacht haben soll, ist ein interessanter Aspekt. Aber ganz ehrlich: Mit wem macht Berlusconi keine Geschäfte? Zudem ist der Nachrichtenwert dieser Informationen ein bescheidener. Wer ab und zu beim Friseur in den Boulevardzeitschriften blättert, ist da deutlich umfangreicher informiert.

Die bislang publizierten Depeschen bieten vor allem einen Insiderblick darauf, wie profan auch das Parkett der großen Diplomatie sein kann. Sorry, aber: „Viel Feind, viel Ehr!“ Der britische Guardian, der Teile der  WikiLeaks-Papiere öffentlich gemacht hat, kommentierte gestern ganz richtig: „Die Aufgabe der Medien ist nicht, die Mächtigen vor Peinlichkeiten zu beschützen“. Der ganze  WikiLeaks-„Skandal“ zeigt für mich einfach nur die Tonart auf, an die wir uns in Zukunft zu gewöhnen haben. Kompromisslose Transparenz ist beim Web 2.0 systemimmanent und das spüren jetzt eben nicht nur die einfachen Gemüter, die Fotos von sich im oberen Promillebereich auf Facebook einstellen, sondern auch die internationale Politprominenz. Andere anzuschwärzen war bereits zu Metternichs Zeiten und auch schon lange davor Volkssport. Neu an WikiLeaks ist nur der tausendfach effizientere Kommunikatonskanal, oder wie es der Medientheoretiker Marshall McLuhan schon in den 60ern formulierte: The Medium ist the message. Man wird sich an neue Spielregeln gewöhnen müssen.