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Weihnachtsrisiken ohne Folgen

Die Weihnachtszeit mag ich sehr. Nicht nur weil wir in unseren Breiten das heilige Fest glücklicherweise noch unbeirrt von fremden Kulturen und Religionen selbstverständlich feiern dürfen. Mich erfreut am Advent, dass das Zusammenkommen und Feiern ausdrücklich erwünscht ist! Auch wenn vor allem für Wirtschaft und Industrie diese Zeit von enormer Bedeutung geworden ist, so stellt sich die Frage, ob es in unserer Gesellschaft angesichts der aktuellen Entwicklungen für die Menschen nicht immer schwieriger wird, sich zu einer Feierlaune zu bekennen, ohne gleich ein schlechtes Gewissen haben zu müssen? Während die einen, wie es der Schriftsteller John Irving einmal nannte, von sogenannten „Weihnachtsrisiken“ wie Sentimentalität befallen werden, so gehöre ich glücklicherweise zu jener Gruppe, die die Zeit bis zum Jahresende noch intensiver dafür verwendet, um mit mir lieb gewordenen Menschen viele Gelegenheiten des Feierns zu finden. Schließlich kann man ja nicht so genau sagen, ob die Welt noch lange steht. Würde unser Globus vom Erdboden verschluckt werden, dann würde es zumindest für die gesamte Menschheit mit einem Mal Gerechtigkeit und Gleichheit in Form des unabwendbaren und sicheren Todes geben. Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass sich die Menschheit auch nach dem Jahreswechsel 2016 mit Worten als Waffen ebenso wie mit Schießgeräten das Leben schwer oder gar zur Hölle machen wird, weil wir nicht bereit sind, diesen unglaublichen Reichtum, den es in Hülle und Fülle gibt, ein wenig gerechter und zum Wohle aller Menschen zu verteilen!

1647 haben die strenggläubigen Puritaner das Feiern von Weihnachten in England verboten. Einer der angeführten Gründe, das heilige Fest zu untersagen war, „dass viele das Fest nutzten, um ausgiebig zu essen, zu trinken und Unzucht zu treiben.“ Was sollen die Menschen sonst machen, haben sich vermutlich damals nicht wenige Untertanen gefragt. Um wieder ins Heute zurückzukehren und mit dem Philosophen Robert Pfaller zu sprechen, was wäre das Leben ohne „Unvernunft unserer Ausgelassenheiten, Großzügigkeiten, Verschwendungen, unserer Geschenke, Feierlichkeiten, Heiterkeiten und Rauschzustände?“ Unser Leben wäre „eine abgeschmackte Abfolge von Bedürfnissen und – bestenfalls – ihrer stumpfen Befriedigung; eine vorhersehbare, geistlose Angelegenheit ohne jegliche Höhepunkte, die insofern mehr Ähnlichkeit mit dem Tod hätte als mit allem, was den Namen des Lebens verdient.“ Feste gehören ordentlich zelebriert, das Leben gehört mit vielen Festen gewürdigt, finde ich. Welch schönere Aufgabe hat das Leben sonst, als diese limitierte Zeit der Existenz zu genießen? Welchen Zweck haben all diese lebensverlängernden Selbstoptimierungsstrategien, die uns die Wirtschaft und Industrie verkünden, wenn du am Ende nie gelebt hast?

„Besser aufrecht sterben, als auf den Knien leben!“ hat uns der mexikanische Revolutionär Emiliano Zapata als Weisheit mitgegeben. Freilich aus seinem Leben, mit einem anderen Blickwinkel. Aber ist das nicht eine großartige Botschaft an unser eigenes ICH, an unseren Selbstwert, unser Leben bestimmt und mit Rückgrat zu leben – und sich dabei nicht von all den Verboten, von den Entmündigungsstrategien der linken wie rechten Parteien gleichermaßen, kleinkriegen zu lassen? Zu einem guten Leben gehören Freude und Spaß, Essen und Trinken und selbstverständlich all die anderen Genüsse. Wofür sollte ich sonst am Morgen das Bett verlassen? Um mich daran zu erfreuen, dass ich wieder wie ein Hamster im Rad renne und irgendwann erschöpft zur Schlafstätte zurückkehre? Sicher nicht! Ja, auch ich muss mit profanen Dingen mein Leben gestalten, um mir Freiräume schaffen zu können. Und weil ich die vielen Gelegenheiten und die schönen Dinge des Lebens zu genießen vermag, bin ich durchaus bereit etwas zu tun, ja vielleicht mehr zu leisten als andere. Aber ich leiste nichts, damit ich dann am Ende sinnentleert von monotoner Arbeit darauf warte, dass ich von meinem Dasein erlöst werde. Heute ist Sonntag, das war jetzt mein philosophisches Gehirnjogging, bevor ich mich physiologisch ertüchtige und eine kleine Runde laufen werde, um dann dem Höhepunkt des Tages zuzustreben: einer Einladung zu einem ersten, zweiten oder vielleicht sogar dritten Weihnachtspunsch nachzukommen. Die Feste muss man bekanntlich feiern, wie sie fallen. Ihnen allen einen schönen und besinnlichen 2. Advent!