Versprechen mit Halbwertszeit
Angela Merkel sagte: «Damit kein Zweifel entsteht: Die Lage nach dem Moratorium wird eine andere sein als die Lage vor dem Moratorium.» Ich will es ja glauben. Ich will glauben, dass man so klug sein wird, die sieben deutschen AKW, die jetzt vom Netz genommen werden, nie wieder hochzufahren. Ich will glauben, dass dieses Moratorium nicht den einzigen Sinn und Zweck hat, einen möglichen Super-Gau bei den nächsten Landtagswahlen zu verhindern. Ich will glauben, dass die Halbwertszeit dieser Versprechen von dauerhaftem Bestand ist. Ich will es wirklich glauben. Als Atomkraftgegner der ersten Stunde und als Familienvater. Denn Abschalten ist keine mögliche Option. Abschalten ist gesunder Menschenverstand. Leider sagt mir meine Erfahrung, dass nur allzu oft politisches Kalkül und die Frage der Finanzierbarkeit den gesunden Menschenverstand ausschalten.
Es war zu Beginn der 90er Jahre, als ich gemeinsam mit einer politischen Delegation nach Slowenien reiste. Der Krieg im damaligen Jugoslawien war gerade vorbei und erste politische Kontakte zur neuen demokratisch gewählten Staatsführung wurden geknüpft. Die Abschaltung des grenznahen AKW Krško und der damit verbundene Atomausstieg Sloweniens waren zentraler Gesprächspunkt mit dem damaligen Umweltminister der jungen Demokratie. Bei einem Abendessen in Marburg wurden politische Fragen erörtert, bei der Hauptspeise kam es zur Causa Prima, dem Atomausstieg Sloweniens. Der Minister und seine Entourage hörten sich die Argumente an, die unsere Delegation in die Waagschale warf. Schließlich ergriff der slowenische Umweltminister das Wort und sagte zum Erstaunen der anwesenden Gäste, dass auch er aus Überzeugung für einen sofortigen Ausstieg Sloweniens aus der Atomenergie sei. Ich sehe heute noch die ebenso erstaunten wie erfreuten Gesichter der Gäste, als sie diesen Satz vernahmen. Der Minister fügte dann aber rasch hinzu, dass ein Ausstieg für Slowenien einfach nicht finanzierbar sei. Der Westen – also wir – wären aber herzlichen eingeladen, uns hier pekuniär einzubringen. Was folgte waren politische Floskeln und eine baldige Abreise unserer Delegation, da unser Chef auf die Frage nicht vorbereitet war.
Seit dieser Episode sind an die 20 Jahre vergangen. Zahllose Beinahe-Unfälle haben das Bild der Atomenergie weltweit geprägt. Von vielen Störfällen hat die Öffentlichkeit vermutlich nie erfahren.
Konsequenzen gab es keine. Im Gegenteil: Laufzeitverlängerung und „Ausstieg vom Ausstieg“ lassen in den letzten Jahren an der Vernunft der Politik zweifeln. Aus europäischer Perspektive geht es letztlich um die Energieversorgung als zentrale Überlebensfrage der kommenden Jahrzehnte: die politischen Auswirkungen der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auf der einen und die schwierige Suche nach Alternativen – inklusive Atomstrom – auf der anderen Seite.* Jetzt im Windschatten von Fukoshima kommt die hektische Kehrtwende, zumindest in der deutschen Atompolitik. Doch eines muss klar sein: der Ausstieg wird teuer werden. Eine ernstgemeinte Debatte wird um den Kernpunkt Finanzierbarkeit nicht herumkommen. Wenn das ein wirkliches Anliegen der Staatengemeinschaft ist, wird wie bei der Bankenkrise über Nacht das entsprechende Geld in Milliardenhöhe für die Finanzierung einer atomfreien Welt vorhanden sein. Eine wirklich handfeste Strategie, die neben moralischen die finanziellen Aspekte des Ausstiegs mitberücksichtigt, scheint mir in diesen Tagen die Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der Politik zu sein!
* Quelle: fm4.orf.at