Blog

Unerträgliche Hybris

Haben wir uns tatsächlich vergangene Woche noch über fehlende Fußnoten in zu Guttenbergs Diss ereifert? Wie gerne hätten wir solche Sorgen jetzt, wo das eingetreten ist, was niemand tatsächlich für möglich gehalten hätte. Eine Katastrophe, die auch bei bestmöglichem Ausgang eine globale Zäsur darstellen wird. In künftigen Betrachtungen wird es wohl nur mehr „vor Fukushima “ oder „nach Fukushima “ geben. Auch wenn wir das ganze Ausmaß der Schäden noch nicht abschätzen können, auch wenn die Toten längst nicht gezählt sind, eines ist klar: Diese Naturkatastrophe hat nicht nur Japan, sondern die ganze Welt an ihrer Achillesferse getroffen. Der atomare GAU, der nicht mehr abwendbar scheint, zeigt wie dünnhäutig das System ist, das man sich im Namen von Technikgläubigkeit und Fortschrittswahn zurechtgezimmert hat. Unweigerlich fällt einem das berühmte Zitat aus Goethes Zauberlehrling ein: „Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nicht mehr los…!“

Und welche Konsequenzen ziehen wir aus dieser Katastrophe biblischen Ausmaßes: Unsere Lieblingsnachbarn zeigen gerade vor, wie man es nicht macht. Auge in Auge mit der nuklearen Bedrohung betet die Atomlobby ihr Achtzigerjahre PR-Sprüchlein von der friedlichen Nutzung der Atomenergie herunter, klammert sich die Regierung an die Beschlüsse zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Und die Partei, die auszog, um die Schöpfung zu bewahren, gackert wie gestern die Ober-Grüne Claudia Roth, dass es jetzt aber wirklich Zeit für den Ausstieg wäre. Jetzt erst? 25 Jahre nach Tschernobyl?
Aber die Strategie Kopf in den Sand ist ja nicht neu. Ihr verdanken wir die Hochwasser im Sommer 2002, die ganze Landschaftsstriche in Deutschland, Österreich und Tschechien im Wasser ertränkten. Hier war sich die Fachwelt einig, dass die Begradigung von Flüssen oder die Zuschüttung von Rückhaltebecken ein Hauptauslöser für die Katastrophe waren. Ignoranz sei Dank hat dann die Natur der Realität Dinge abverlangt, der sie nicht gewachsen war. Im Fall Japan stellt sich die Frage, ob nicht die Bedrohungen der Gegenwart eine Zukunft gänzlich in Frage stellen könnten.

Eigentlich wäre jetzt angesichts der japanischen Katastrophe ein Moment, in dem Politik und Energiewirtschaft einen Moment innenhalten sollten. Eigentlich wäre es in der jetzigen Situation die Verantwortung der Politiker von Regierung und Opposition, Risiken der Atomkraftwerke realistisch abzuwägen und nüchtern Alternativen für die Stromerzeugung aufzuzeigen, schließlich kommt die Energiewende nicht von selbst.  Stattdessen tobt in Deutschland ein Parteienstreit*  – als wäre jetzt der Zeitpunkt politisches Kleingeld zu wechseln.  Es ist unerträglich, kleinkariert und deplatziert. Und eine Hybris sondergleichen. In dieser apokalyptischen Situation fallen mir die Worte des von mir sehr verehrten Oskar Werner ein: “Atomkraftwerke sind nicht notwendig, da sie keine Not wenden.” So sehe ich das auch. Wenn es nicht bereits zu spät ist, muss es JETZT für jeden Politiker oberste Maxime sein, den Schutz des Lebens vor die Maximierung der Gewinne stellen. Alles andere wäre russisches Roulette mit dem Leben von Millionen Menschen und der Zukunft unseres Planeten.

* Quelle: Cicero, Magazin für politische Kultur