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Sprachlos

Unfallfrei sprechen, im Sinne von politisch korrekter Ausdrucksweise, scheint mir eine der komplexesten Herausforderungen im Hier und Jetzt zu sein. Kaum hat man sich an eine neue Begrifflichkeit gewöhnt, fühlt sich schon wieder irgendwer ob der gewählten Worte diskriminiert, herabgewürdigt oder in seinen persönlichen Gefühlen verletzt. Was habe ich mir die letzten Jahre angetan, um zuerst die Bibliothek meiner Tochter politisch korrekt zu gestalten. Mit Tipp-Ex bewaffnet, wurde mit diesem gewaltfreien Hilfsmittel Pipi Langstrumpfs Vater, dem „Negerkönig“, der Garaus gemacht. Auch den “Mohren” aus dem Struwwelpeter habe ich seines Platzes verwiesen, weil mir die Experten eingeredet haben, dass sich mit der sprachlichen Umbenennung die Akzeptanz von diskriminierten Gruppen und Personen von selbst löst. Schließlich ist das, was wie in diesen beschriebenen Beispielen nicht mehr benannt wird, auch kein gesellschaftliches Problem mehr. Ist doch das Schönreden eine der wenig gelernten Professionen von all jenen, die so gerne aus der gelebten Praxis den Stillstand der Theorie herbeiführen wollen. Und selbige ist wieder durch ihre Distanz zur Realität in einer Grauzone des Problembewusstseins angesiedelt.

Egal, als ich den Kinderbuchbestand meiner Tochter dem aktuellen Wissenstand der Political Correctness angepasst hatte, bin ich in einer Art Selbstzensur über die sich in meinen Bücherregalen befindliche Weltliteratur hinweggefegt. Eine Art vorausschauender Gehorsam, wenn Sie so wollen, bevor uns die Sittenwächter der Sprache ermahnen und mir und meinen unzähligen Büchern ein schlechtes Gewissen einreden. Die Textpassage in Mozarts Zauberflöte beispielsweise, wo der üble Sklave Monostatos singt „Weil ein Schwarzer hässlich ist“ habe ich aus dem Buch entfernt. Zumal er auch noch seine weiße Herrin bedrängt. Oder nehmen Sie “Othello” von William Shakespeare. Schon der Untertitel „Der Mohr von Venedig“ ist verwerflich. Dass dann noch der Feldherr seine weiße Gattin erwürgt, geht endgültig zu weit. Ich meine, ich habe in meiner überschaubaren Büchersammlung die kritischen Fragen mit weißer Farbe, Schere, UHU und dergleichen gelöst und eine mit den Gutmenschen dieser Zeit kompatible Sprache zu Anwendung gebracht. Dass ich nebenbei auch noch “Robinson Crusoe” von Daniel Defoe, Herz der Finsternis von Joseph Conrad, Onkel Toms Hütte von Harriet Beecher Stowe und zu guter Letzt Margaret Mitchells Vom Winde verweht von all dem sprachlichen Gefahrenzonen befreit habe, erwähne ich nicht als Selbstlob, sondern um zu dokumentieren, wie wichtig mir die Angepasstheit ist. Früher mal hätte ich diese Dokumente der Weltliteratur nicht einfach so zensuriert, sie so einfach glattgeschliffen, sondern in einem gesellschaftspolitischen Kontext besprochen. Und aufgezeigt, dass der immer wieder gescholtene Mensch noch ein Mindestmaß an Entwicklungsfähigkeit hat.

Vor einigen Jahren habe ich eine in Blattgold gehaltene Bibel des Malers Ernst Fuchs gekauft. Eine wunderbare Arbeit, die ich mir weniger wegen des inhaltlichen Programms, sondern ob ihrer Besonderheit in der künstlerischen Umsetzung erworben habe. Nun stehe ich knapp vor den Weihnachtsfeiertagen in einem Gewissenskonflikt, ob ich nicht auch das Buch der Bücher, an einem besonderen Platz in meinem Regal stehend, einer persönlichen Überarbeitung unterziehen soll. Strotzt sie doch nur so von Frauenfeindlichkeit, um eines der größten Mankos dieses Machowerks zu nennen. Einzelne Formulierungen sind mir ehrlich gesagt schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge (so sorry, dear Jesus). Darf es wirklich noch wie in Matthäus 25:35 lauten: “Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen”, oder müsste ich meine Bibel nicht an passender Stelle in “Ich bin eine Person mit Migrationshintergrund gewesen und ihr habt mir Asyl gewährt” umschreiben? Oder wenn es im Buch Jeremia, Kapitel 13 lautet: “Kann ein Neger seine Haut wandeln?” Wie gehe ich mit dieser wenig vielversprechenden Formulierung um? Ein paar Tage habe ich ja noch bis zum “Heiligen Abend”. Ein, dieser Tage von der “Interessensvertretung für Medienschaffende mit Migrationshintergrund“ publizierter Ratgeber könnte mir in der Entscheidungsfindung Abhilfe schaffen. Die Gruppe Neue deutsche Medienmacher“, hat ein Basislexikon für die politisch korrekte Schreibe auf den Markt gebracht. Seitdem weiß ich, dass zwischen „Einheimischen und Mehrheimischen“ strikt getrennt werden sollte, dass „Dschihad“ keinesfalls „Heiliger Krieg“ bedeutet, sondern sich „auf einen inneren Auftrag“ bezieht, „zum Beispiel beim Kampf gegen das Böse im Herzen“. Und dass die „Islamophobie“ nicht etwa ein Kampfbegriff ist, der von Ajatollah Khomeini erfunden wurde, sondern „der wissenschaftliche Begriff für die generelle Ablehnung des Islam“ und der Muslime. Und das sorgfältig zwischen Salafisten und „Salafiten“ unterschieden werden sollte, weil die einen etwas mehr beziehungsweise etwas weniger gewaltaffin sind als die anderen. Zu guter Letzt wird noch darauf mit politisch korrektem Fingerzeig darauf hingewiesen, dass der Umgang mit dem Wort „wir“ zunächst als „harmlos“ erscheint. Man sollte jedoch bedenken, dass es, „ohne ausgesprochen zu werden, für wir Deutsche (ohne Migrationshintergrund)“ steht und damit ausgrenzt. Langsam werde ich immer ratloser, ob all dieser sich anbahnenden sprachlichen Fehlleistungen meinerseits, die sich da am Horizont der vorauseilenden Angepasstheit, es jedem und allem Recht machen zu wollen, auftun. Vielleicht sollte ich einfach meine überarbeiteten Bücher wiederum von diesem Mantel der sprachlichen Scheinheiligkeit befreien. Und möglicherweise dient der geschichtliche Ursprung des einst geschriebenen Wortes für viele meiner Mitbürger dazu, klüger zu werden für ein andermal!