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Offener Brief an die ÖBB

Sehr geehrter Herr Generaldirektor,

wöchentlich fahre ich mindestens zweimal mit dem Zug zwischen Wien und Graz hin und her. Ich wollte Ihnen schon oft schreiben, weil ich mich regelmäßig über den Staatsbetrieb ÖBB ärgere, dem Sie als oberster Boss vorstehen. Während ich diese Zeilen formuliere, sitze ich gerade im Zug Richtung Graz, der mit einer halben Stunde Verspätung den neuen Hauptbahnhof in Wien verlassen hat. Ich gehöre zu jenen Menschen, die immer in der 1. Klasse reisen. Soeben hat mich der Schaffner kontrolliert, ich möchte das entwertete Ticket in den Mülleimer neben meinem Sitz werfen, er ist wieder mal nicht ausgeräumt, er geht über von angefaulten Bananenschalen und leeren, in den Behälter rein gepressten Trinkflaschen. Wissen Sie, was eine Fahrt in der 1. Klasse nach Graz trotz ÖBB Vorteilscard kostet? 35,40 Euro! Das sind in „wirklichem Geld“ für eine Fahrtstrecke 487,11 Schilling! Ist es da zu viel verlangt, dass ich einen sauberen Müllbehälter vorfinde? Und nein, sehr geehrter Herr Generaldirektor, das ist eben kein bedauerlicher Einzelfall, wie – sollte ich überhaupt von Ihrer Pressestelle eine Antwort erhalten – diese vermutlich behaupten würde. Wie komme ich als Steuerzahler dazu, doppelt zu bezahlen? Ich bezahle ja nicht nur in Relation zur erbrachten Dienstleistung einen vollkommen überhöhten Tarif für jede Zugfahrt, sondern ich subventioniere auch Ihren Konzern als Steuerzahler. Ist das fair? Für Sie vermutlich schon, sind Sie doch für die Preispolitik und das Ergebnis des Konzerns verantwortlich. Und ich möchte nicht kleinlich wirken, aber wenn ich schon meinen seit Jahren aufgestauten Frust als Ihr Kunde loswerden muss, wie kommt es, dass Ihre ÖBB Mitarbeiter offensichtlich kostenlos 1. Klasse fahren dürfen? Ist die 2. Klasse nicht gut genug? Oder ist das entspannte Bier trinken nach oder vor Dienstschluss Ihren Mitarbeitern in der normalen Klasse nicht zumutbar? Und wenn wir schon beim Trinken sind. Soeben habe ich mir beim Bordservice, das seit kurzem von einem tschechischen Anbieter neu serviciert wird, ein Getränk bestellt. Waren österreichische Mitarbeiter für einen subventionierten Staatskonzern zu teuer? Oder haben Sie nur im ehemaligen Osten einen Sublieferanten gefunden, der es noch billiger macht? Was ist der Grund für den Wechsel des Bordrestaurantbetreibers? Die Preise sind teuer geworden, für meinen standardisierten Grünen Veltliner mit prickelndem Mineralwasser bei der abendlichen Fahrt bezahle ich seit kurzem 1 Euro mehr, was mir auch egal ist, aber zuvor gebe ich der Kellnerin einen 20 Euro Geldschein und sie gibt mir auf einen Rechnungsbetrag von 6,90 Euro lauter Münzen retour, da sie nur tschechische Geldscheine habe, wie sie mir gegenüber ziemlich genervt betont. Können Sie mir das erklären, warum das auf einer innerösterreichischen Fahrt von Wien nach Graz so ist? Wie das geht, dass eine Kellnerin aus einer dem Aussehen nach privaten Brieftasche Münzen hervorkramt, weil sie sonst kein Wechselgeld hat? Oder ist das eine dieser neuen Selbständigen, die einem Betreiber Ware abkauft und dem Fahrgast dann weiterverkauft? Und antworten Sie jetzt nicht, dass der Bordservice ausgelagert ist und Sie nicht wissen, wie Ihre externen Dienstleister ihre internen Arbeitsbeziehungen regeln. Wenn ein Unternehmen Milliarden an Steuergeld kassiert, dann hat es auch eine soziale Verantwortung, nicht nur gegenüber seinen noch immer besonders privilegierten Mitarbeitern, sondern auch gegenüber all jenen, die für diesen Staatskonzern direkt und indirekt arbeiten. Das weitere downsizing der ohnedies schon schlechten Servicierung Ihrer Gäste hat mir der Schaffner mit dem Fahrplanwechsel begründet. Die selbe Person, die von mir gerade neben dem Fahrschein und der Vorteilscard auch meinen Personalausweis verlangt hat, erklärt das damit, dass die neuen Vielfahrerkarten Ihrer Bahnlinie kein Foto des Inhabers mehr tragen und daher kontrolliert werden müsse, ob die dem Kontrollorgan vorgelegte Ermäßigungskarte jener Person gehört, die sie vorgelegt hat. Welch kundenorientierter Zugang! Das ist sicherlich wieder jemandem eingefallen, der im seltensten Fall die Perspektive eines Kunden einnimmt. Aber möglicherweise spart die ÖBB durch das Weglassen eines Fotos bei den Produktionskosten für die Vorteilscard ein paar Cent, erhöht aber gleichzeitig den Arbeitsaufwand des Personals. Das soll nicht meine Sorge sein, da ich in meiner jahrlangen Beobachtung noch nicht festgestellt hätte, dass einer Ihrer Mitarbeiter überlastet wäre, sondern eher viel Fahrzeit damit verbringen kann, entspannt auf einem freien Platz in der 1. Klasse oder Businessclass zu sitzen, um zu warten, dass die Zeit vergeht. Egal, viele Geschichten könnte ich Ihnen aus der Praxis erzählen, zu Ihrem Unternehmen! Eine Bemerkung sei mir noch erlaubt. In meinen Vorlesungen zum Thema Unternehmensführung habe ich seinerzeit gelernt, dass man an der Servicequalität den Gesamtzustand eines Unternehmens erkennt. Soll ich Sie fragen, wie es um die ÖBB steht? Besser nicht, wie ich meine!

Mit besten Grüßen,

Gerhard Scheucher

PS: Den Brief habe ich gestern Abend im ÖBB railjet geschrieben.