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Kopf ab!

Man sagt, im Mittelalter wurde der Überbringer einer schlechten Botschaft geköpft.  Ein vergleichbares Los ereilt im Augenblick den streitbaren Neo-Autor Thilo Sarrazin, dessen Nachname paradoxerweise auf den Volksstamm der Sarazenen zurückgeht, der im Zuge der islamischen Expansion im christlichen Europa als Sammelbezeichnung für die muslimischen Völker verwendet wurde. Zugegeben, der Mann zeichnet sich nicht gerade durch sein Fingerspitzengefühl aus. Auch wenn ich sein Buch aufgrund der derzeitigen Lieferengpässe noch nicht gelesen habe, scheint seine Argumentationslinie in manchen Punkten unausgegoren. Und gleich vorweg: Ich halte die These von der vererbbaren Dummheit für einen ausgemachten Blödsinn. Elsbeth Stern, genau die Intelligenzforscherin, auf die sich Sarazzin beruft, bekräftigt in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Zeit,  dass Bildungsignoranz definitiv keine muslimische Charaktereigenschaft ist. Das ist gut so, denn auf einer solchen Basis sollte ein so elementares Thema wie die Integrationspolitik auf keinen Fall diskutiert werden.

Dennoch: Wir können nicht länger versuchen, gesellschaftliche Wahrheiten mit den Nebelbomben der Political Correctness zu verschleiern. Thilo Sarrazin hat möglicherweise in seinen Thesen überzogen, aber vielleicht musste einmal jemand in diesen Ameisenhaufen hineinstechen, um das Thema Integration endlich ins politische Tagesgeschehen zu katapultieren und zu erörtern. Politik ist eine Kommunikationsdienstleistung am Menschen und um diese Dienstleistung erbringen zu können, braucht es konkreter Antworten, Argumente und Lösungen. Hier muss es auch erlaubt sein, unangenehme Wahrheiten sachlich zu thematisieren. Das ist nämlich der einzig wirksame Riegel, den wir Populisten und Demagogen jedweder Couleur vorschieben können. Das Buch „Deutschland schafft sich ab“ bringt all jene Politiker, die in ihren Sonntagsreden konkreten Antworten ausweichen in eine Doppelmühle. Mit der Politik des weiter so, werden sie nicht gewinnen und auch nicht damit, dass sie mit Unterstützung der Medien Thilo Sarrazin steinigen. Was die Menschen erwarten sind konkrete Lösungskonzepte, die ihnen die Politik seit Jahren schuldig geblieben ist.

Wenn es Sarrazin ein ernstes und nicht nur ein populistisches Anliegen ist, seinen Finger in die brennenden Wunden der Gesellschaft zu legen, braucht er dafür eine entsprechende Öffentlichkeit. Jahrelang wurde in der Integrationspolitik weggesehen, nach dem Motto, was man nicht sieht, das gibt es auch nicht. Heute haben wir einen Zustand erreicht, der viele Menschen, die nicht in feinen Innenstadtbezirken oder am noblen Grüngürtel leben, schlicht und einfach überfordert. Solidarität muss man sich heute leisten können. In den Wohnlagen, in denen sich der soziale Sprengstoff jeden Tag aufs Neue entzündet, haben viele Menschen keinen finanziellen Spielraum mehr, sehen aber, dass Menschen aus andern Ländern ihre Wohnhäuser, Schulklassen, Straßen und Plätze übernehmen. Und es liegen noch unangenehmere Fakten auf dem Tisch: Etwa dass der Anteil von Türken und Arabern unter Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, unter Jugendlichen ohne Ausbildung und Schulabschluss und unter jungen Gewalttätern überproportional hoch ist. Das ist der Stoff aus dem Feindbilder gemacht werden und Fremdenhass entsteht. Populisten haben in solch einer Stimmung ein leichtes Spiel. Wie soll da gegenseitiges Verständnis entstehen für andere Kulturen, für andere Lebenskonzepte?

Der Sukkus der Geschichte: Das Aufeinandertreffen von Kulturen schafft nicht nur Vielfalt und Bereicherung, sondern auch Angst, Verstörung, Neid und Unbehagen – man kann das weder schönreden, noch darf man mit dumpfen, verallgemeinernden Paulschalurteilen die Radikalisierung der Diskussion vorantreiben. Und die Menschen dürfen zu Recht Lösungsvorschläge von den Politikern erwarten.  Etwa eine kluge Raumplanungspolitik, die es schafft, Menschen so zu integrieren, dass die Proportionen zu der vor Ort ansässigen Bevölkerung noch stimmen. Oder eine durchdachte Bildungspolitik, die Kindern und Jugendlichen, egal ob einheimischen oder Migranten, annähernd gleiche Startchancen einräumt. Auf all das haben die Menschen ein Recht.

Darüber hinaus haben sie aber auch Pflichten. Denn immer nur von der Politik zu erwarten: Gebt mir Bildung, gebt mir einen Job und schafft mir die Ausländer vom Hals – und das alles bitte, ohne, dass ich meinen A… vom Fernseher wegbewegen muss – das funktioniert nicht. Ich glaube einer der Knackpunkte ist es, den Leuten ihre – sie verzeihen – verdammte Passivität „auszutreiben“.  Wenn Jugendliche heute von ihren Eltern vorgelebt bekommen, dass es doch einfacher ist, sich beim AMS anzustellen, als sich um Ausbildung und Job zu bemühen, ist die Frustration vorprogrammiert. Ich übertreibe nicht, in Deutschland spricht man mancherorts schon von der Generation der Hartzer, ja viele Jugendliche sehen darin eine legitime Art des Broterwerbs. Perspektive: Fehlanzeige, die Suche nach dem Sündenbock der logische nächste Schritt. Klar, kommen da Murat und Ayshe gerade recht.  Sie mögen mich für naiv halten, aber ich fordere hiermit von den Bildungsbeauftragten von der Grundschule an ein Pflichtfach mit dem Lehrinhalt „Du hast dein Leben selbst in der Hand!“ (Arbeitstitel). Vielleicht lösen sich dann einige Probleme von selbst. Und bitte köpfen Sie mich dafür nicht!