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Beim TÜV mit Kampusch und Kachelmann

Endlich kennen wir das Missing Link zwischen Thilo Sarrazin und Natascha Kampusch, das heißt nämlich Amazon. Dort nämlich liefern sich die beiden Autoren, die bis auf diese Gemeinsamkeit unterschiedlicher nicht sein könnten, derzeit ein Kopf an Kopfrennen. Der nimmerfaule Phrasendrescher in Sachen Integration hat derzeit die Nase vorn. Auf der Klaviatur der Public Relations spielen sie offenbar beide virtuos bzw. haben wohl wie in Kampuschs Fall findige Berater. Und freundlicherweise zeigen sich die Medien auch noch äußerst kooperativ, wenn es darum geht, den Herrschaften kostenlosen Werbeplatz einzuräumen. Kampuschs Buch wird von der „Bild“ (14 Millionen Leser) als Serie gedruckt, hierzulande bringt „Österreich“ Sarrazins Thesen als Fortsetzungsroman. Was befremdet ist die Tendenz, dass sich offenbar nicht nur die dafür bekannten Boulevardblätter als Steigbügelhalter erbötig machten, im Zuge der Sarrazin-Affäre sprangen auch viele Qualitätsmedien auf diesen Zug auf. Der Spiegel brachte einen ausführlichen Vorabdruck und sogar die altehrwürdige ZEIT ließ Sarrazin in einem mehrseitigen Interview die Werbetrommel rühren.

Ein schwacher Trost ist, dass man über dem großen Teich mindestens genauso kreativ zu sein scheint, wenn es darum geht, den Fokus der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Das hirnlose Agieren moderner Medien wird doch evident, wenn sich 100 Kamerateams darauf stürzen, wenn ein „verhaltenskreativer“ Pastor aus einem amerikanischen Provinznest den „Burn-a-Koran-Day“ ausruft – oder eben doch nicht. Die TAZ schrieb in dem Zusammenhang bezeichnender von den Medien als „pawlowsche Hunde“: Irgendein Idiot sucht Aufmerksamkeit, beschimpft den den Muslimen heiligen Propheten Muhammad oder verbrennt den Koran und schon ist ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien weltweit gewiss.

Kann sich jeder X-beliebige, der seine Verkaufszahlen, Beliebtheitsrankings oder Wahlprognosen vorantreiben möchte mit ein paar markigen Thesen oder die Aussicht auf einen Skandal seine Headline sichern? Darf´s eine Homestory sein? Exklusiv-Interview? Vorabdruck? Aber gerne doch! Wenn es darum geht, den Herrschaften in Sachen Eigen-PR Platz im Blatt/TV-Sender einzuräumen, sind lapidare Schauplätze wie Pakistan rasch weg vom Fenster. In letzter Zeit ebenfalls sehr beliebt: Nabelschau von tragischen und gescheiterten Existenzen. Nimmt der Elsner die Fußfessel bei der Pediküre runter? Und wie war das mit Jörg Kachelmanns Vorliebe für Sadomaso? Im Prozess um den letzteren ließ sich jetzt Feminismusurgestein Alice Schwarzer von der Bildzeitung als Gerichtsreporterin anheuern. „Um die Seite des Opfers ausreichend zu beleuchten“, wie sie als uneigennützige Motivation für ihr Engagement angibt. Dass ab 23. September ihr Buch „ Die große Verschleierung“ in den Buchläden liegt, ist da natürlich völlig ungewollte Koinzidenz.

Irre ich, oder gehört zu den journalistischen Leitprinzipien nicht eine strikte Trennlinie zwischen Informationsvermittlung (Tatsachenbericht) und Meinung (Kommentar, Leitartikel)? Irre ich oder müssten – zumindest hierzulande – PR-Artikeln nicht nach wie vor als solche gekennzeichnet werden? Irre ich oder sind diese Leitprinzipien mehr und mehr dem Bereich der Bedeutungslosigkeit zuzuordnen? Und was ist die Folge für uns als Medienkonsumenten? Es ist paradox: Heute steht Information allerorts zur Verfügung, in einer noch nie dagewesenen Form und auch Geschwindigkeit, dennoch scheint ein neues Ausschlussprinzip zu entstehen. Nämlich jenes, dass immer mehr Menschen nicht mehr in Lage sind, die tägliche Fülle und Qualität von Information richtig bewerten und auch verwerten zu können. Dass Medienkompetenz zur Schlüsselkompetenz werden muss, wollen wir als Bürger noch in der Lage sein, mündige Entscheidungen zu treffen, ist klar.

Aber wie wäre es mit einer Qualitäts-Zertifizierung für Medien, einem Journalismus-TÜV gewissermaßen? Jene Medien, die nach journalistischen Grundregeln arbeiten, sollten ein sichtbares Qualitätssiegel tragen dürfen, jene die täglich ihren Müll produzieren, sollten auch gekennzeichnet werden. Der Konsument hat dann die Wahl, aber er sollte zumindest wissen, was ihn erwartet, ähnlich wie bei der Kennzeichnung von Lebensmitten. In Analogie zu den Bio-Eiern könnte die Aufschrift auf der Plakette dann lauten: „Diese Zeitung wurde von frei-denkenden Journalisten mit Bodenhaftung geschrieben. Die Lektüre dieses Blattes ist für die geistige Gesundheit unbedenklich.“ Ja, ich denke, so kommen wir weiter.