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Eier in der Sahelzone

»Der Journalist sitzt stets schussbereit an der Schießscharte der Zeit«, schrieb schon Egon Erwin Kisch. D´accord: Medien sind die Wachhunde der Demokratie, die Aufpasser im öffentlichen Leben. Aber wer verbellt die Hunde, wer kontrolliert die Wächter? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Nichts liegt mir ferner, als in den guten alten Zeiten der couragierten Reporter, der Journalisten vom alten Schlag und der Kapazunder in den Redaktionsstuben zu  schwelgen. Zweifellos gibt es in Österreich auch heute noch – sagen wir mal eine Hand voll – ausgezeichneter PublizistInnen. Doch der allgemeine Eindruck, der sich aufdrängt, ist der einer journalistischen Sahelzone. Stark reduzierte Umfänge und Redaktionen, dünnste Wirtschaftsteile, tendenziöse und nicht recherchierte Storys, oberflächliche Politbotschaften auf dem Titelblatt und schlechte Fotos haben andere einstige Qualitätszeitungen zu leeren Maschinen gemacht.

Nur noch in Jubiläumsausgaben blitzen alte Tugenden wie brillante Sprache, packende Formulierungen, Wortwitz, ausdrucksstarke Fotos und inhaltliche Vielfalt und Tiefe auf. Gefühlslose Technokraten übernehmen immer mehr auch in Österreich das verlegerische Ruder und beherrschen einstmals gute und starke Redaktionen. Ob österreichweit eine Tageszeitung, ein Magazin, zwei Radiosender und zwei Internet-Plattformen für die demokratiepolitische Notwendigkeit einer qualitativ vielfältigen, unabhängigen Medienlandschaft ausreichen, muss bezweifelt werden. Dabei zeigen es Die Zeit, Die Weltwoche oder Brand Eins bzw. die Tagesschau im ARD vor: Mündige Leser bzw. Zuschauer sind auf Dauer mit kritischem und fundiertem Journalismus zu begeistern. Wie wäre es zur Abwechslung mit Haltung oder zumindest Linie? Viel Umfang, Ressorts für Politik und Wirtschaft, Sport und Kultur sowie Internationalität plus Rubriken wie Bildung und Forschung? Ansprechende Bilder, fundiert und objektiv kritisch recherchierte Berichte? Meinungsvielfalt und Kommentare sowie realitätsnahe und eindrucksvolle Reportagen? Handliche Formate in Text, Bild und Ton? Eine semantisch schöne, aber trotzdem verständliche und ausdrucksstarke Sprache? Humor und Ironie? Es gibt Maßstäbe, nach denen Qualität beurteilt werden kann. Noch vor einem Vierteljahrhundert galt der „gute, alte“ BBC-Journalismus (den es so auch nicht mehr gibt) als Maß aller Dinge der journalistischen Tugenden: Objektiv, distanziert, erhaben über persönliche Interessen oder die der Anzeigenkunden.

Was StudentInnen auch heute noch im ersten Studienabschnitt Publizistik gelehrt wird,  scheint oft bei Redaktionsschluss vergessen:

  • Wähle nicht unbedacht, sei dir bei jeder Auswahl einer Nachricht, bei jeder Präsentation bewusst über mögliche Folgen.
  • Verantworte deine Folgen.
  • Fälsche durch Auswahl nicht die Realität.
  • Gib ein möglichst breites Bild, zeige alle Seiten ohne persönliche Wertung, zeig auch das, was dir persönlich nicht passt.
  • Lass den Leser / Zuhörer / Zuschauer sich ein eigenes Bild machen, indem du ihn so objektiv und umfassend wie möglich informierst.
  • Bleib unabhängig. Lass dich nicht vor fremde Karren spannen.
  • Plappere nicht unbedacht Informationen nach. Prüfe deine Quellen! Frage dich immer: Cui bono – wem nützt es, dass dir ausgerechnet dies so mitgeteilt wird.

Tausend Rosen! Die Wirklichkeit hierzulande schaut anders aus: Vorgefasste Meinungen, ein prätentiöser, anmaßender, nach Quote heischender Interviewstil, wie wir ihn uns die ORF-Nachrichtensendungen nur allzu gerne als investigativ und unbequem verkaufen wollen, ein Abschreiben, Umschreiben und Copy und Pasten selbst bei sogenannten Qualitätsmedien sind die Eckpfeiler eines zum Anpassungsjournalismus verkommenen Berufsstandes. Medienkultur: Fehlanzeige. »Von allen Kasten unseres neuen Ständestaates ist jene, die sich anmaßt, Urteile über andere zu fällen, nämlich die sogenannten kritischen Journalisten, “die mieseste und verdorbenste, zutiefst korrumpierte, arrogant, ungebildet”, schrieb ein anderer großer Österreichsicher, der politisierende Schriftsteller Jörg Mauthe, der all das nicht war, wohl aber auch ein hervorragender Journalist. Der legendäre ORF-Intendant Gerd Bacher ortete kürzlich in einem Interview, den Grund für die Misere: „Wir haben eine Diktatur der B-Gesellschaft. Es fehlen die Alpha-Tiere.“ Er selber ist zweifellos ein solches und mehr noch, was Frido Hütter, Ressortchef der Kleinen Zeitung und Kulturjournalist des Jahres kürzlich auf den Punkt brachte: „Der Gerd Bacher hatte noch Eier.“ Ich finde dem ist nichts hinzuzufügen.