
Alice Schwarzer mit Milchbart
Liebe Frau Stadträtin,
„Als Frau und Mutter möchte ich mich sehr bedanken, für diese Initiative! Gestern ist mir ein neues Plakat des Unterwäschenherstellers “Triumph” in die Augen gestochen. Eine junges Model liegt lässig mit BH und Unterhose bekleidet und darunter steht, natürlich Bezug nehmend auf den BH mit Busen: „Dieser Balkon ist perfekt – Romeo sing!” Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!“ postet eine Aktivistin auf der Website Ihrer jüngst ins Leben gerufenen „Watchgroup Sexismus“, die zum Halali gegen sexistische/frauenfeindliche Werbung aufruft. Bestimmt bin ich nicht ganz objektiv, schließlich verdiene ich ja selbst meine Brötchen in diesem Business (Werbung, nicht Dessous): Aber für Unterwäsche mit einem Unterwäschemodell zu werben, fände ich auf den ersten Blick nicht so abwegig. Über die Qualität des Werbeclaims kann man streiten, aber die Bezeichnung der weiblichen Oberweite als Balkon möge man dem Texter (oder war´s gar eine Texterin?) verzeihen, oder gab es schon jemals Beschwerden beim Anblick eines männlichen „ Six pack“? In der Kritik steht auch ein Werbesujet von „Tassimo“ –Kaffeeautomaten. Was ist darauf zu sehen? Ein paar Frauen unterhalten sich bei einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer, während ein kleines Mädchen irgendein Getränk (ebenfalls aus der Tassimo) zu sich nimmt. Der gemeine Betrachter erkennt natürlich nicht die unterschwellige Botschaften:
- Das in der Tassimo-Werbung abgebildete Mädchen legt die Assoziation zu Schwachheit und Emotionalität nahe
- insbesondere ist hier das Arrangement des unsicheren Blickes zur Seite und der unschuldigen Ausstrahlung zu nennen.
- Der „Milchbart“ auf der Oberlippe lässt auf Ungeschicktheit schließen, was das Mädchen noch zusätzlich infantilisiert.
- Der „Kaffeeklatsch“, welcher üblicherweise in abwertender Art und Weise mit (Haus-) Frauen verbunden wird, wird hier reproduziert.
- Unterstützt wird dieses Arrangement noch durch eine affektierte Mimik, welche sich in den Blicken der Frauen zeigt.
Soweit die Beurteilung der Watchgroup, die mich ein wenig erstaunt zurücklässt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie zur geneigten LeserInnenschaft meiner kleinen, bescheidenen Online-Kolumne zählen darf, liebe Frau Stadträtin! Wenn dem bislang nicht so war, darf ich nochmals im O-Ton wiederholen, was ich schon vor kurzem an dieser Stelle über meine Haltung gegenüber der Damenwelt dargelegt habe. Wertschätzung, Respekt, Hochachtung – all das hege ich für die Frauen in meiner Umgebung. Beruflich wie privat.
Aber während sich die Watchgroup-Späherinnen über Schmollmünder und freie Bauchnäbel ereifern, lacht zum Filmstart des US-Streifens „Public Enemies“ Johnny Depp mit der Waffe im Anschlag an jeder Ecke von lebensgroßen Filmplakaten herunter. Stört Sie das nicht? Wo sind die Watchgroups, die Gewaltverherrlichung anprangern, in Zeiten in denen vierzehnjährige rücklings beim Einbruch erschossen werden? Sehe das nur ich so oder stimmt hier etwas mit der Verhältnismäßigkeit nicht? Als der deutsche Bundestag vor fünfzig Jahren das Gesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau beschloss, brauchte man sich um die sexualisierte Darstellung von Frauen in der Werbung noch keine Sorgen machen. Klischees, ja, die gab es in Hülle und Fülle. Frauen, die im Dr. Oetker-Pudding rührten und auf ihren Ehemann warteten, der pünktlich um sechs Uhr nach Hause kam. Aber ich denke mir, dass im 21. Jahrhundert die Nackten in der Werbung kein Aufreger mehr sind. Ich denke mir, dass Frauen heute stark und tough genug sind, um ihre Weiblichkeit mit einem gewissen Augenzwinkern für die eigenen Zwecke zu nutzen. Kennen Sie die neuen Wahlkampf-Plakate der CDU? Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht nicht die Partei, sondern ein Coup der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Die Berliner Bundestagskandidatin posiert auf ihren Plakaten im tief ausgeschnittenen Abendkleid, daneben das berühmte „Dekolleté-Bild“ der Kanzlerin aus der Osloer Oper. „Wir haben mehr zu bieten“ ist der Slogan. Ich finde, das hat Klasse. Trotz Balkon.
Herzlichst,
Ihr Gerhard Scheucher
PS: Auch Alice Schwarzer hat früher Minirock getragen. Aber das ist lange her. Damals besuchte sie als junge Journalistin Jean-Paul Sartre in Paris. Mitten im Gespräch platzte Simone de Beauvoir ins Zimmer, warf einen vernichtenden Blick auf die entblößten Schenkel der Besucherin und verschwand. Nie wieder, hat Alice Schwarzer einmal bekannt, habe sie nach diesem Erlebnis einen Minirock getragen. Erst das erste Zusammentreffen der berühmten französischen und der noch unbekannten deutschen Feministin hatte sofort ein handfestes Ergebnis: das Minirock-Tabu.*
*Quelle: Die Zeit