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“Well, I’ll do my very best”

Sein Künstlername war Lauri Wylie, sein richtiger Name Morris Laurence Samuelson. Kennen tun wahrscheinlich die wenigsten Menschen einen dieser beiden Namen. Getreu dem Motto “Not macht erfinderisch”, verfasste der Engländer die Ursprungsversion eines Sketches, der heute Abend zu späterer Stunde wiederum Millionen von Menschen rund um den Globus zum Lachen bringen wird. Alles hatte mit einer Alkoholvergiftung begonnen, die vier von sechs Schauspielern eines zweitklassigen Varietétheaters wenige Stunden vor Beginn einer Vorstellung erlitten hatten. Vielleicht spielt gerade deswegen Hochprozentiges eine zentrale Rolle in diesem 18 Minuten dauernden Zwei-Personen-Theaterstück, wo auf Geheiß der Gastgeberin der Butler stellvertretend für die nicht erschienenen, weil verblichenen Besucher des Geburtstagsfestes nicht nur deren Speisen, sondern auch deren Sherry, Weißwein, Champagner und Portwein zu sich nehmen musste. Die Rede ist vom Unterhaltungsklassiker für den fortgeschrittenen Silvesterabend “Dinner for One”, der in der jetzigen Version erstmalig 1963 mit dem britischen Komiker Freddie Frinton als Butler James sowie mit seiner Partnerin May Warden als Miss Sophie ausgestrahlt wurde. Abstinenzler-Lobbies beschieden diesem kurzweiligen Jux im fernsehtauglichen Format eine Verherrlichung des Alkoholismus und forderten die Eliminierung des Stückes aus den Fernsehprogrammen.

Es ist eigentlich verwunderlich, dass noch niemand meiner politisch überaus korrekten Mitbürger diese Forderung wieder aufleben hat lassen. Man stelle sich vor, jemand trinkt diesen Cocktail aus Alkoholika jeweils mal fünf, nämlich nicht nur für sich selbst, sondern eben auch für vier weitere imaginäre Gäste und stolpert dann betrunken über einen Teppich, fällt unglücklich, schlägt sich den Schädel ein und aus. Und verantwortlich ist dafür möglicherweise sogar das mit Steuergeld am Leben erhaltene Staatsfernsehen. Nicht auszudenken! Vielleicht ist ja mein Einwand die Basis für die Etablierung einer kleinen Protestgruppe. Die wichtigste Voraussetzung derartigen Gejohles, nämlich öffentlichkeitswirksam und gleichzeitig sinnlos zu sein, würde mein Vorschlag erfüllen. Eigentlich finde ich es schade, um dem Genre der Unterhaltung treu zu bleiben, dass eine europaweite Initiative für das Singen der europäischen Hymne auf Esperanto von der EU höchstpersönlich abgedreht wurde. Ob das der Grund dafür ist, dass ein paar aufrechte Zivilisten der EU-Austrittspartei den morgigen Neujahrstag damit verbringen, nicht etwaige Spätfolgen der heutigen Nacht auszukurieren, sondern gleich den Start des neuen Jahres dafür zu verwenden, um in Wien bei einer “Pro Neujahrskonzert-Demo” für einen EU-Austritt zu demonstrieren? Mir soll es recht sein, meine einzige Sorge ist aktuell jene, ob ich morgen wieder bei 26 Grad am Strand am Rande der Wüste liegen kann.

In Miss Sophies altenglischem Esszimmer würden viele sinnlose Debatten der Jetztzeit gar nicht stattfinden. Keiner ihrer vier engsten Freunde, ob Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy oder Mr. Winterbottom hätten sich im realen Leben auf jenes Diskussionsniveau begeben, das vielerorts unseren Alltag bestimmt. Zwischen indischer Hühner-Suppe, Schellfisch aus der Nordsee, Hühnchen und Obst wäre die Unterhaltung bestimmendes Element des Diskurses und nicht die Trübseligkeit und Mieselsucht gewesen. Ich werde versuchen, mir trotz vieler Widrigkeiten nicht die Laune verderben zu lassen und weiterhin auch den Genuss und dem Schöngeistigen als Lebenselixier einen festen Platz zu geben. Die übrigen Rollen überlasse ich gerne anderen Menschen! Um mein Jahr im Sinne des Silvesterklassikers “Dinner for One” zu beenden, sage ich jetzt mit den Worten von Miss Sophie: “I think I’ll retire”. Wir sehen, lesen und hören uns im neuen Jahr wieder. Butler James sagte noch ganz nonchalant, bevor er sich in die oberen Räumlichkeiten zurückzog “Well, I’ll do my very best”. In diesem Sinne einen guten Start und viel Erfolg für 2013!