Ecken und Kanten
Letzte Woche starb Johanna Dohnal. Eine große Politikerin, eine Querdenkerin, vielleicht eine Querulantin. Aber eine, die durch ihren Quergeist in ihrer Ära als „Ministerin für allgemeine Frauenfragen“ Dinge bewegte und die im Österreich der späten Siebziger ein ganzes System auf den Kopf stellte. Ein Familienrecht abschaffte, das den Mann als Familienoberhaupt definierte, dem Frauen und Kinder zu gehorchen hatten. Über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz redete. Oder über Gewalt in der Familie. Der Falter schrieb in seinem Nachruf: Man schaut sich die Bilder an. Die trotzigen Mundwinkel. Den Blick, der sagt. Ist mir doch wurscht, ob ihr mich mögt. (…) Johanna Dohnal hatte eine präzise Idee davon, wie eine bessere, gerechtere Gesellschaft ausschauen könnte. Die Unterschied sich diametral von der Gegenwart, die sie damals umgab.( ….) Können wir uns eine ähnliche Kühnheit an irgendeinem gegenwärtigen Regierungsmitglied vorstellen? *
Nein können wir nicht. Wenn wir uns die gegenwärtige Regierung auf dem Bauplatz Österreich vorstellen, sehen wir: Politiker und Politikerinnen, die sich lächelnd bemühen, geschäftig zu wirken, ohne dass sie einem sagen können, was sie eigentlich wollen. Johanna Dohnal war eine Frau mit Ecken und Kanten. Und unbequem auf die Gefahr hin anzuecken. Aber Ecken und Kanten scheinen heute nicht mehr gut anzukommen. Irgendwie ist das Gleichmaß zur obersten Maxime geworden. Und das gilt nicht nur für die Politik. Da wird ein Spitzensportler wie ein Bode Miller von der hiesigen „Is was g´scheits“-Fraktion gerügt, weil er eben nicht zu den mineralwasserschlürfenden, konturenlosen Weicheiern gehört. Ein Rock´n Roller im Schizirkus – no go! Da werden Kunstschaffende wie ein Christoph Schlingensief, eine Elfried Jelinek oder der verstorbene Alfred Hrdlicka an den Pranger gestellt, angefeindet und als Nestbeschmutzer beschimpft, wenn sie sich auch nur eine Handbreite vom Mainstream entfernen. Von Kindesbeinen an wird uns eingebläut: Pass dich an! Fall ja nicht auf! Es lebe die Einheitlichkeit. Wenn wir brav studiert haben, kommt vielleicht ein smarter Berater und kürt uns per standartisiertem Audit zum High Potential. Hurra! Aber Woher rührt es, dass für uns die Durchschnittlichkeit so erstrebenswert ist? Warum gibt es uns Sicherheit, uns hinter unseren gleichmäßig geschnittenen Thujenhecken dem Mittelmaß hinzugeben? Warum sind TV-Formate wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany´s next Top Model“ so erfolgreich, in denen sich junge Menschen freiwillig in einen 0815 Raster pressen lassen, um dem Geschmack der Masse zu huldigen? Warum zum Teufel wollen alle so wie alle sein? Glattgebügelt. Abgeschliffen. Austauschbare Nummern.
Denn mit der Begründung »Das tun ja alle!« nehmen Leute auch Drogen, übertreten die zulässige Höchstgeschwindigkeit, lassen Handtücher im Hotel mitgehen und hinterziehen Steuern. Das Mit-der-Masse-gehen war noch nie ein Garant dafür, auf der Seite der Wahrheit zu marschieren. Trotzdem neigen wir naturgemäß dazu, uns anzupassen und freuen uns, von anderen als einer der ihren betrachtet zu werden.
Mark Twain meinte: »Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen. Das scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben bei den Coaches und Karriereberatern, die den Markt bevölkern und kräftig mitmischen im Geschäft mit der Sorge um die eigene Unzulänglichkeit. Denn In der postneoliberalen Gesellschaft wächst die Überzeugung, dass aus jedem Menschen eine Marke werden kann.
Ich denke, wir brauchen mehr Menschen, wie Johanna Dohnal einer war. Mit Ecken und Kanten, mit Fehlern und Schwächen, mit Mut zur Lücke, die Dickschädel, die Querköpfe, die enfant terribles. Denn Fakt ist doch: Durchschnittliche Menschen bewegen auch nur Durchschnittliches.
* Falter 8/10