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Vertrauen wir in uns selbst!

Folgende Legende des schottischen Königs Robert I. (1274-1329) habe ich unlängst im Buch “10 Tage im Irrenhaus” (Aviva-Verlag) gelesen. Nach mehreren Niederlagen gegen die Engländer soll sich Robert I. in seinem schäbigen Winterquartier im Jahr 1306 die Frage gestellt haben, ob er weiterkämpfen oder aufgeben solle. Während er darüber nachdachte, beobachtete er eine Spinne, die sich über seinen Kopf von einem Balken zum nächsten zu schwingen versuchte. Sechs Mal scheiterte sie und sechs Mal versuchte sie es erneut. Robert, der zu diesem Zeitpunkt bereits sechs mal den Engländern unterlegen gewesen war, nahm sich vor, seine Entscheidung vom Erfolg der Spinne abhängig zu machen. Als die Spinne beim siebenten Anlauf ihr Ziel erreichen sah, war seine Entscheidung gefallen. Nach einer von sagenumwobenen Flucht auf die Äußeren Hebriden (Inselkette an der Westküste von Schottland) kehrte König Robert I. im Februar 1307 nach Schottland zurück und begann vom Südwesten aus, sein Reich von seinen inneren und äußeren Feinden zurückzuerobern. Er griff unermüdlich – meist aus dem Hinterhalt – an und wurde dabei zu einem Meister der Guerillataktik. Den Höhepunkt erreichte er in der Auseinandersetzung um Stirling Castle, der letzten von Engländern gehaltenen Burg in Schottland, am 23. und 24. Juni 1314. Das scheinbar überlegene englische Heer wurde von den Schotten vernichtend geschlagen. Die rund 9.000 Schotten rieben die ca. 25.000 Engländer fast vollständig auf und Robert Bruce, wie König Robert I. genannt wurde, stieg zum schottischen Nationalhelden auf. Wie wäre die Geschichte Schottlands verlaufen, wenn sich die Spinne nach dem sechsten Versuch für das Aufgeben entschieden hätte? Hätte auch König Robert I. resigniert? Wir wissen es nicht!

Tatsache ist, dass viele Ereignisse, die unser Leben massiv beeinflussen, häufig in scheinbar zufälligen Ereignissen ihren Ursprung finden. Eine gesamte Lebensberatungsindustrie ist darauf aufgebaut, den Menschen Ängste vor Niederlagen zu nehmen und “Scheitern” zu verhindern. Unzählige Ratgeber beschreiben mehr oder minder praktische Hinweise, um am Glücksrad des eigenen Erfolgs ein wenig drehen zu können. Das Lebensberatungsgeschäft in dieser Form hatte übrigens seinen Ursprung in der hellenistischen Welt. Das Orakel von Delphi war eine griechische Pilger- und Weissagungsstätte des antiken Griechenlands. *Hinter einem Vorhang warteten die Ratsuchenden. Sie alle erhofften sich Entscheidungshilfe. Dabei ging es keineswegs allein um Feldzüge und Gesetze. Auch Privatleute konnten, entsprechende Bezahlung vorausgesetzt, ihre Fragen stellen: Sollte man heiraten? Geld leihen? Das Feld bestellen? Die Laute der entrückten Pythia übersetzten Priester in rätselhafte, auslegungsbedürftige Orakelsprüche. Der Konkurrenzkampf im antiken Beratungsbusiness war groß. Doch dann zog der christliche Kaiser Theodosius gegen das Orakelwesen zu Felde. Im Jahre 394 nach Christus machte er Delphi, damals eine Art Marktführer unter den Orakeln, dicht. Auch tausende Jahre danach ist die Sehnsucht zu wissen, was die Zukunft bringt, oder nicht, ungebrochen groß. Experten für alles sollen auf jede Frage eine Antwort wissen. Ob sie das auch tatsächlich können, ist gar nicht von Bedeutung, es geht den Betroffenen vielfach nur darum, dass jemand stellvertretend für sie Entscheidungen trifft. Die Angst vor einer falschen Einschätzung und dem damit verbundenen “Scheitern” ist zu groß, da Niederlagen immer ein Stück Stigmatisierung bedeuten.

In meinen Vorträgen betone ich immer, dass der Umgang mit dem “Scheitern” zu einer der Schlüsselqualifikationen des 21. Jahrhunderts werden wird. Zu rasch ändern sich Rahmenbedingungen in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt. Wer auf die geänderten Anforderungen nicht rasch genug reagieren kann, der ist latent davon bedroht, seine eigene Biografie um Aspekte des “Scheiterns” erweitern zu müssen. Manchmal auch unfreiwillig, wie gerade eben 10.000 Mitarbeiterinnen der Drogeriemarktkette Schlecker die ihren Job verloren haben. Aber was haben sie falsch gemacht, woran sind sie gescheitert? Sie haben unter nicht gerade als vorbildlich geltenden Arbeitsbedingungen ihren Job gemacht, alles für die Firma gegeben und haben am Ende doch ihre beruflich Existenz verloren. Auch das ist ein Aspekt des “Scheiterns”! Ein “Scheitern” an Systemen, die nicht beeinflussbar sind. Statistisch gesehen wird jede dieser arbeitslos gewordenen Frauen knapp 140 Bewerbungen schreiben müssen, um einen neuen Job zu finden. Das bedeutet, dass es nochmals eine Vielzahl von Niederlagen geben wird, mit der die Betroffenen umgehen lernen werden müssen. Seinen Job zu verlieren, mit einem Projekt zu “scheitern” bedeutet nicht das Ende aller Möglichkeiten. Der Zufall mag da oder dort seine Finger im Spiel haben, um Menschen in schwierige Situationen zu bringen oder sie auch daraus zu befreien. Aber der Glaube an sich selbst und seine Fähigkeiten scheint mir besser angebracht, als sich auf Zufälligkeiten, Glücksmomente oder andere zu verlassen. Unlängst hatte ich einen Termin mit einem Spitzenpolitiker, wir haben über Projekte geredet und irgendwann auch über Privates. Plötzlich sagte er zu mir: “Wenn du du möchtest, dass dir jemand hilft, dann greif nach deiner zweiten Hand.” Das sei seine für das Leben bestimmende Formel, die ihm sein bereits verstorbener Vater mitgegeben hat. Ich meine – Zufälle oder durchdachte Strategien hin oder her: Wir sollten ruhig ins uns selbst vertrauen, um die Aufgaben des Lebens zu meistern.

* http://www.zeit.de/campus/