Schönheit der Ungleichheit
Seit Jahren habe ich sprichwörtlich die Nase voll, nicht von meiner mir lieb gewonnenen Umwelt, sondern von einer verkrümmten Nasenscheidewand, die es mir an manchen Tagen unmöglich macht, mit dem sich in meinem Gesichtszentrum befindlichen Organ zu atmen. Nach ewigen Zeiten des Zuwartens habe ich mich kürzlich endlich dazu entschlossen, das Projekt “Reparatur der Nasenscheidewand” in Angriff zu nehmen. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass ich die letzten Tage in einem Sanatorium am Stadtrand von Graz verbracht habe. Der mich behandelnde Arzt sagte gleich vor der Operation: “Ich werde dafür sorgen, dass sie wieder mehr als genug Luft zum Leben haben, aber an ihrer Nase wird äußerlich nichts verändert, denn eine Biografie wie die ihre braucht so eine Nase.” Eine Meinung, der ich mich problemlos anschließen konnte, zumal ich ohnedies finde, dass eine immer konturloser werdende Gesellschaft ein paar “Ausnahmeerscheinungen” mit Ecken und Kanten benötigt. Oder um es mit den Worten meines Bekannten Reiner zu sagen: “Ich hoffe, dass dir dein Zinken erhalten bleibt.”Meine Bejahung kommentierte er mit der ihm gegebenen deutschen Sachlichkeit und einem kurzen “Well, well”.
Seit Jahren versuche ich in meinen Vorträgen den Menschen die Angst vor dem Scheitern zu nehmen. Grundlage dafür sind Beispiele die eindrucksvoll veranschaulichen, dass es sich im Leben lohnt, immer einmal öfter aufzustehen, als hinzufallen. Gegen Ende meines Vortrages erzähle ich unter anderem gerne folgende Geschichte. Eines Abends zappe ich durch verschiedene Fernsehkanäle, auf einem der Sender läuft gerade Germany’s next Topmodel. Im Dialog ist Heidi Klum mit einem schätzungsweise 18jährigen Mädchen zu sehen, einer wirklich hübschen Kandidatin, die in der Show schon sehr weit gekommen ist. Dieser jungen Dame erklärt das aus Bergisch Gladbach stammende Top-Mannequin vor laufender Kamera sinngemäß “Ein Model muss perfekt sein, du bist aber nicht perfekt”. Einmal davon abgesehen, was eine derartige Aussage bei einem jungem Menschen anrichten kann, der gerade am Beginn seines selbstbestimmten Lebens steht. Aber ist es nicht ein Irrsinn, wie Menschen in fragwürdige, von der Industrie designte Normen und in Idealvorstellungen von Schönheit schablonenhaft hineingepresst werden? Und eine Gesellschaft, die das Selberdenken und die eigene Meinung nahezu abgeschafft hat, nimmt das alles widerspruchslos zur Kenntnis?
Eine Bekannte von mir ist plastische Chirurgin, sie erzählt, dass Eltern ihren eigenen Kindern zur Matura immer öfter Schönheitsoperationen bezahlen. Von Nasen- über Brustkorrekturen bis hin zur Modifikation von Schamlippen, die Schnipselei scheint keine Grenzen zu kennen! Wo sind wir angelangt, wenn solche“Segnungen” immer mehr zur Normalität werden? Dazu passt auch, dass sich beispielsweise im asiatischen Raum immer häufiger junge Mädchen über Jahre hindurch verschulden, um durch die Bearbeitung ihrer eigenen Erscheinung mit dem Skalpell den Ansprüchen unserer westlichen Welt genüge zu tun. In Peking gehören mittlerweile zum Erscheinungsbild mancher Einkaufsstraßen kleine Geschäftslokale, wo man in der Mittagspause oder nach Dienstschluss schnell kleine Korrekturen am Aussehen durchführen lassen kann. Ich will dort niemandem unrecht tun, aber als ich ein paar dieser Geschäfte – wenn auch nur von außen – gesehen habe, wäre mein Eindruck nicht jener gewesen, dass dort die präzisesten Dienstleistungen erbracht werden. Und auch wenn das Gegenteil der Fall sein sollte, was sagt das über eine Gesellschaft aus, wo immer mehr Menschen sich“zurechtschnitzen” lassen, damit sie irgendwelchen Trends entsprechen, die bildlich gesprochen wie Säue durch das Dorf getrieben werden, bevor die Industrie die nächste Segnung für Glückseligkeit und für eine damit vermeintlich einhergehende Schönheit verkündet.
In einem Artikel konnte ich kürzlich lesen “Der Islam verhüllt seine Frauen, damit nicht das Ungleiche die Partnerwahl bestimmt”. Vielleicht sollten wir mal unter diesem Aspekt die Integration islamistischen Gedankenguts in unsere Kultur diskutieren. Wie wäre es, wenn nicht Oberflächlichkeit die Wahl des Partners bestimmt, sondern gelebte Geisteshaltungen, Werte, Intellekt? Der große Friedrich Schiller formulierte einst „Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung“. Ist es letztendlich nicht vollkommen egal, wenn mancher Muskel am Körper nicht eisern gestählt ist? Lohnt es sich irgendwann das Leben rückblickend betrachtet wirklich, zwar jeden Trend mitgemacht, aber niemals gelebt zu haben? Tao befand schon zu seiner Zeit, dass erst die Bewegung den Menschen schön macht. Ich würde in diesem Sinne Bewegung interpretieren als sich Neuem hinzugeben, Horizonte zu erweitern und zu verstehen, dass das Leben mehr ist als die zur Schau getragene erstarrte Plattheit, die eine große innere Leere kaschiert.