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Sind Sie Apokaholiker?

Vergangene Woche habe ich in Königsdorf – einem Vorort von Köln – aus meinen Büchern gelesen. Geladen war ich vom örtlichen Literaturforum. Während Vorträge mein Standardbusiness sind, gehören Lesungen noch immer zur Ausnahme für mich. Meine Publikationen sind größtenteils Sachbücher, daher braucht es, um einen Leseabend zu gestalten, eine sorgfältige Auswahl von Texten – damit das Publikum aufmerksam bleibt und die Unterhaltung nicht zu kurz kommt. Mit der Zeit entwickelt man eine gewisse Routine und kann Geschriebenes ziemlich treffsicher für die jeweilige Zuhörerschaft auswählen und weiß auch, welche Inhalte, welche Reaktionen auslösen. Nachdem ich die sanfte Provokation eher liebe, müssen auch Abhandlungen in die Playlist geschwindelt werden, die das Publikum an den Nervensträngen ein wenig reizen. Eine dieser die Zuhörer aufwühlenden Kurzgeschichten habe ich im Jänner 2013 geschrieben. Sie trägt den Titel Hoffnung für Pessimisten?”, eine aus meiner Betrachtung eigentlich harmlose Interpretation unserer Lebensweise im Hier und Jetzt. Die Grundbotschaft lautet: unser Leben ist viel besser, als es viele unserer MitmenschInnen behaupten.

Es ist interessant, die Reaktionen in den Gesichtern der Anwesenden so wie letzte Woche zu sehen, bloß weil man ein paar Fakten erwähnt, die sich gegen die gesamte Pessimismusindustrie wenden. Mich beschäftigt es, dass Menschen mit sogenannten “Good News” so wenig anfangen können. Ganz im Gegenteil, dass sie mehrheitlich vor dir sitzen und du dir denkst, was hast du jetzt bloß angerichtet, nur weil du gesagt hast, dass diese unsere eine Welt eine gute ist. Ein Planet, wo nicht alles nur den Bach runter geht, sondern wo es auch berechtigten Anlass für Zuversicht gibt. Um mich selbst aus Hoffnung für Pessimisten?” zu zitieren: “Was ist aus all den Megathemen der Untergangspropheten in den letzten Jahren geworden, aus all diesen düsteren Szenarien? Wo hat es die Bevölkerungsexplosion gegeben, die zur globalen Hungersnot geführt hat? Wo haben all diese Umweltgifte die Lebenserwartung des Menschen reduziert, das Gegenteil ist der Fall! Wo hat der saure Regen ganze Landstriche zerstört und alles zur Wüste werden lassen? Wo sind all die Krankheiten, Seuchen und anderen Lebensbedrohungen? Erstaunlicherweise hat sich unser Leben insgesamt verbessert. Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten um 30 % gestiegen, ebenso die Lebensmittelproduktion pro Kopf und die Kindersterblichkeit ist nahezu im selben Ausmaß gesunken. Und all das, obwohl sich die Weltbevölkerung fast verdoppelt hat. Sind das keine guten Nachrichten?” Entlehnt habe ich diese Fakten dem Buch The Rational Optimistdes notorisch zuversichtlichen Engländers Matt Ridley.

Sie könnten mit dem zum gesellschaftlichen Standard gehörenden “Ja aber – Knüppel” einwenden, dass es tagtäglich unzählige Bedrohungen gibt, die gerade noch so an uns vorbeischrammen. Natürlich entgehen mir die Krisen dieser Welt nicht. Ich höre auch von Griechenland (eine Schande, aber für die EU), ich lese ebenso von den Flüchtlingsströmen (eine Schande, aber für die Nationalstaaten), und ich nehme auch von anderen wenig verheißungsvollen Entwicklungen Notiz. Aber, wenn ich in Summe unser aller Leben betrachte, sollten wir uns zumindest nicht manchmal eingestehen, dass es da viele Entwicklungen gibt und gegeben hat, die uns alle ein wenig mehr an Hoffnung verleihen sollten? In Anlehnung an den WirtschaftswunderKanzler Ludwig Erhard könnte sinngemäß formuliert werden, dass 50 % unserer Wahrnehmung immer Fakten, die verbleibenden 50 % immer Psychologie sind. Will heißen, dass die Richtung vieler Entwicklungen von der Stimmung in unseren Köpfen abhängig ist. Der Wald unserer Möglichkeiten ist voller Hoffnung und Zuversicht, aber wir sehen vor lauter Wald die Chancen nicht, könnte ich resümierend und manchmal ein wenig resignierend niederschreiben. Der englische Politiker und Historiker Thomas B. Macaulay hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine interessante Frage an all die begnadeten Schwarzmaler gestellt und keine Antwort bekommen: “Warum sehen wir, wenn wir zurückblicken, nichts außer Fortschritt und Verbesserungen, erwarten aber von der Zukunft immer nur den Niedergang?” Eine bei uns noch wenig verbreitete Bezeichnung für all die SchwarzseherInnen dieser Welt lautet Apokaholiker. Leute, die all ihr Handeln viel mehr auf eine pessimistische Grundnatur des Menschen ausrichten, als auf seinen sicher zu aktivierenden Optimismus. Wäre es nicht längst an der Zeit, eine Gegenbewegung einzuleiten, die positive Energien in uns freisetzt, um all das scheinbar Unlösbare einer positiven Wendung zuzuführen?