Sinnentleert durch die stille Zeit
Dieser Tage hatte ich einen Mailverkehr mit einer sehr interessanten Dame, die trotz fortgeschrittenen Alters noch immer voll im Leben steht. Sie ist um die 70, ein urbaner Typ, lebte viele Jahre in New York City, jetzt in Los Angeles – und wenn sie nicht gerade in den Staaten weilt, dann verbringt sie die Sommermonate am heimatlichen Landsitz im Burgenland. Wir tauschten uns darüber aus, was die nächsten Wochen so bringen werden. Ich erzählte davon, dass ich am 24.12 den Flieger in Richtung Abu Dhabi besteigen werde, um den im heurigen Jahr verpassten Sommerurlaub nachzuholen. Es entstand eine lebhafte Diskussion über die wahre Verinnerlichung von Festen und Traditionen und deren drohende Sinnentleerung – meine Gesprächspartnerin ließ mit einem leidenschaftlichen Plädoyer aufhorchen, dass man dem Weihnachtsfest nicht durch oberflächlichen Konsum die Würde nehmen solle und schloss dem die Frage an “Wo ist eigentlich das Christkind geblieben”? Genau, wo ist es eigentlich geblieben, dachte ich mir. In meiner Kindheit wäre nie jemand auf die Idee gekommen, vom Weihnachtsmann zu sprechen. Wenn ich heute durch die Einkaufsstraßen Wiens gehe, dann scheint von dieser guten, alten Tradition des Christkinds nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Die roten Mützen prägen das Bild, der Coca Cola Weihnachtsmann hat offensichtlich das Christkind besiegt, könnte man meinen.
Mir ist schon klar, dass es Fragen gibt, die mehr Relevanz hätten, besprochen zu werden. Aber es ist schon auffällig, dass wir immer mehr Traditionen und Bräuche aus unserem Alltag versuchen zu verbannen, und andererseits immer mehr Menschen auf der Suche nach Sinngebung und Orientierung sind. Überlieferte Gepflogenheiten, Althergebrachtes kann meiner Meinung nach vielen von uns wichtige Bezugspunkte zur Zeit schaffen. Man kann Übersicht dort entstehen lassen, wo im Alltag Unübersichtlichkeit das Sagen hat. Mich stört bei all diesen dynamischen Entwicklungen die damit einhergehende Amerikanisierung unserer Kultur. Oft habe ich den Eindruck, dass Bräuche nur noch dahingehend relevant bleiben, wenn man daraus ein Konsumpotenzial generieren kann. Man denke nur an „Halloween”. Handelsketten investieren hunderttausende von Euro, um den Menschen zu erklären, dass es “in” ist, sich zu verkleiden. Insbesondere Kinder versucht man zu „inspirieren“, die dann als Monster verkleidet Nachbarn stören und Erwachsene geben Feste frei nach dem Motto „Je abscheulicher das Ambiente, desto besser“. Aufklebbare Spinnen und sonstiges Getier gibt es im Supermarkt zum Kilopreis. Ist das die Basis, um sich seiner Wurzeln zu besinnen, müssen alle tiefgreifenden Themen menschlichen Lebens ausgeschlachtet und kommerzialisiert werden? Sind Traditionen nur dann gut, wenn es am Ende einen Profit gibt? Auch wenn diese Fragen schon x-fach besprochen wurden, so bleibt es dennoch jedem von uns selbst überlassen, nach welchen Werten man sein Leben lebt. Einer Antwort können wir uns letztlich nicht entziehen.
Im vergangenen Jahr bin ich auf der Britisch Invention Show gewesen. Ich hatte Toilettenartikel vergessen, also besuchte ich einen Supermarkt. In der zweiten (!) Oktoberwoche ist dort schon alles bis ins kleinste Detail in Weihnachtsdeko ausgestaltet gewesen, entsprechende Produkte inklusive. Auch in unseren Breiten finden Einstimmungen und Vorbereitungen auf große Feste schon immer früher statt, weil die Marketingstrategen einzelner Handelsketten glauben, damit ihre ohnedies immer kleiner werdenden Wachstumspotenziale kompensieren zu können. Oft denke ich mir, dass es völlig egal wäre ob Ostern zu Weihnachten, oder Weihnachten zu Ostern stattfinden würde. Es geht in der heutigen Zeit in erster Linie mehr um die Hülle als um die Fülle, will heißen, es ist eigentlich egal was gefeiert wird. Hauptsache, die Umsatzraten an den Ladentischen in den Geschäften stimmen. Ist die Conclusio daraus “So lange der Verkaufserlös stimmt, ist jedes Fest ein Fest?” Haben Sie schon mal daran gedacht, und von diesen Gedanken schließe ich mich selbst nicht aus, wie Sie Ihren Partner, Ihre Familie glücklich machen würden, wenn es am Heiligen Abend keine Geschenkspakete-Orgien geben würde, sondern beispielsweise nur das gesprochene Wort? In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein paar nachdenkliche Momente, um über manche Wertigkeiten im Leben fernab des Konsums nachzudenken. Einen besinnlichen Advent!