Blog

Meditationsübung

Im neuen Jahr angelangt, präsentiert man sich ja allgemein in einer eher guten psychischen Gesamtkonstitution, es sei denn, man hat noch mit den Nachwirkungen einer zu langen Silvesternacht zu kämpfen. Als gesichert gilt, dass zumindest die große Mehrheit aller meiner lieben MitmenschInnen die schlechten Vorsätze im alten Jahr zurückgelassen hat. Gute Absichten, die im Retrospekt meist zu Absichtserklärungen geworden sind, dienen als „mentale Stützräder“ für einen fulminanten Start in die ungewisse Zukunft eines sich langsam aufbauenden Jahres. Der Blick auf den Kalender, versehen mit einer neuen Jahreszahl, hat zumindest im Jänner noch etwas befreiendes, ist doch der erste Monat im Jahr berechtigterweise mit großen Hoffnungen verbunden, dass die Zeit bis zum 31.12, jenem Tag, der mit absoluter Treffsicherheit jedes Jahr beendet, ein guter Lebensabschnitt wird. Eine gewisse innere Aufgeräumtheit, vor allem im Kopf, könnte eine gute Basis sein, um die Herausforderungen und Prüfungen des aus heutiger Sicht noch 12 Monate dauernden Jahres erfolgreich zu bewältigen. Eine frühere Erlösung für viele von uns ist nur dann in Sicht, wenn sich bewahrheiten sollte, dass die Welt am 29. Juni 2015 endgültig untergeht, da exakt an diesem Tag die Updates für Samsung Smartphones enden. Daraus leiten Angehörige der Samsung-Religion folgerichtig in Internetforen die Befürchtung ab, dass dieses Datum das Ende der Menschheit markieren könnte. Ob ich gegebenenfalls als Apple-Jünger auch in einem tiefem schwarzen Loch verschluckt werden könnte, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Aber vielleicht hat meine Stunde schon früher geschlagen, nämlich dann, wenn die zweite Wiederkunft Jesus im März des noch jungen Jahres tatsächlich eintritt.

Einstweilen werde ich mich mal in Meditation üben und versuchen, die mir gegebene Entspanntheit meines Gemütszustandes aufrecht zu erhalten. Ein Vorbild dabei ist mir der indische Mönch Munishri Ajitchandrasagarji, Schüler des allseits bekannten Gurus P. P. Acharya Nayachandrasagarji (kennen Sie, oder?). Ajitchandrasagarjis (richtig aussprechen bitte) Meister, der Chefguru Nayachandrasagarji (hier liegt die Betonung glaube ich beim “c”, “d” und “j”) erzählte der New York Times, dass es wichtig sei, “das eigene Bewusstsein durch Meditation zu leeren. Nur so sei man in der Lage, zum Erinnerungsgefäß zu werden”. Will heißen, ins Laienhafte übersetzt, dass man seinen Kopf von all dem Müll irgendwie befreien soll, der tagtäglich an unseren Verstehenshorizont angeschwemmt wird. Wie eine aus meiner Sicht durchaus nachahmenswerte Entleerungsübung funktioniert, zeigte Munishri Ajitchandrasagarji bei einem öffentlichen Event vor mehr als 6000 Menschen auf einem Podium im Sardar Vallabhbhai Patel-Stadion in Mumbai in Meditationshaltung sitzend. Unsereiner würde zu dieser Körperhaltung Schneidersitz sagen. Ist der Gebrauch dieses Wortes politisch eigentlich noch korrekt? Nicht dass ich nach den ÖBBlern auch noch die Schneiderinnung gegen mich aufbringe. Egal, zurück zur Meditationsübung von Munishri Ajitchandrasagarji. “Menschen, einer nach dem anderen, trugen 500 Dinge zu ihm. Sie zeigten ihm einen Alltagsgegenstand oder eine mathematische Formel, auch sprachen sie vielleicht einen Satz in einer von sechs verschiedenen Sprachen. Nummer 500 war die Zahl 100 008. Von der Morgendämmerung bis in den Nachmittag hinein sickerten 500 Dinge in sein Gedächtnis”. Nach dieser “kurzen” Einheit der Aufladung sozusagen, kam der große Moment der Entladung. Der indische Mönch zählte alle ihm gezeigten Gegenstände in der richtigen Reihenfolge auf. Nur bei Nummer 81 schwächelte er kurz. Die finale Nummer 500 war dann übrigens die Zahl 100 008! “Munishri Ajitchandrasagarji kann im Training schon 800 Gegenstände memorieren”, sein ehrgeiziges Ziel ist das Durchbrechen der 1000er Marke. Ich meine, das ist doch eine nachahmenswerte Übungsanleitung für das Erreichen einer persönlich maximalen Entspanntheit, verbunden mit einem bemerkenswerten Lerneffekt. Ein Publikum von tausenden Menschen ist meines Erachtens dafür gar nicht notwendig, auch im kleinen Kreis lässt sich Achtsamkeit trainieren. Eine oft vernachlässigte Eigenschaft, deren bewusste Ausübung und Verinnerlichung uns alle mit Sicherheit weiterbringt. Ihnen allen ein besonderes neues Jahr!