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»futteténne«

„Es gibt nichts, was es nicht gibt!“ pflegt eine liebe Geschäftspartnerin bei vielen Gelegenheiten zu mir zu sagen. In diese Kategorisierung dürfte da auch eine christliche Gruppierung aus Amerika fallen, die vor einigen Jahren versuchte, im wahrsten Sinne des Wortes in die Fußstapfen ihres Religionsgründers zu treten. Tag für Tag unternahmen die Mitglieder der in Los Angeles beheimateten Gruppe immer härtere Anstrengungen, es ihrem Idol gleichzutun, indem sie versuchten, die Kunst des auf dem Wasser Laufens zu erlernen. Jeder folgt bekanntlich seiner Berufung, wenn auch nicht immer bis zum bitteren Ende, wie diese Geschichte zeigt. Tagtäglich wurde geübt und geübt, ein sichtbarer Erfolg wollte sich nicht einstellen, der Anführer der Gruppe verstarb mitten beim Training sozusagen, in der hauseigenen Badewanne. Seine hinterbliebene Frau gab später zu Protokoll, dass ihr Mann viele Stunden damit verbracht habe, seine Lauftechnik zu perfektionieren, jedoch ohne die Aufgabe gemeistert zu haben. Ein Stück Seife, auf dem er während einer Übungseinheit ausgerutscht war, besiegelte seinen endgültigen Untergang. Ohne zynisch wirken zu wollen, ein paar Fragen tun sich da schon auf. Wie wird man quasi von oben so weit erleuchtet, dass Mann oder auch Frau versucht, den Gang über das Wasser anzutreten? Ebenso sollte der Aspekt näher betrachtet werden, in welcher psychischen Grundkonfiguration jemand an das Diesseits ausgeliefert wurde, bevor ihn der Versuch, das Wasser zu überschreiten offensichtlich früher als geplant dem Jenseits zugeführt hat? Ganz zu schweigen von einer abschließenden Gesamtbeurteilung des Vorhabens, das jemanden dabei zeigt, wie er locker lässig zum finalen Showdown auf die prall gefüllte Wanne zusteuert, um dann nicht emporzusteigen sondern unterzugehen. Die Hölle wurde dem Azubi Gottes dann hoffentlich wohl erspart. Aber dennoch schön, dass es auf diesem Planeten noch Menschen gibt, die entgegenhalten, die an größere Ziele glauben und die ihre Berufung nicht darin finden, im Einheitsbrei unterzugehen.

Eine einfachere Übung als “die Kunst des auf dem Wasser Laufens zu erlernen” könnte die ganz banale Übung des Selberdenkens sein. Einfach mal innezuhalten, zu reflektieren. Das könnte trotz berechtigter Hoffnungen an eine höhere Instanz den angenehmen Nebeneffekt haben, seinen eigenen Weg in einer Zeit der immer größer werdenden Unübersichtlichkeit zu finden. Der deutsche Soziologe Harald Welzer schrieb dieser Tage einen *Gastbeitrag im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Unter dem Titel “Rettung der Welt. Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen” fasste der Direktor der gemeinnützigen Stiftung “Futurzwei” ein paar Grundregeln zusammen, die viele von uns im Denken des praktischen Alltags vergessen haben, wie ich meine. Hand aufs Herz, haben wir es nicht verlernt, einfach Fragen zu artikulieren, statt diese ungestellt wie Bleisäcke mit unserem Gewissen umherzutragen? “Warum muss man immer mehr arbeiten, wenn man immer mehr arbeitet? Warum werden die Schulden größer, wenn immer mehr gespart wird? Warum schrumpft alles andere, wenn die Wirtschaft wächst?” fragt der seit Juli 2012 lehrende Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg, um dann mit der Empfehlung Nummer 4 seiner insgesamt 10 Vorschläge fortzufahren. “Suchen Sie zusammen mit Ihren Freundinnen und Freunden nach Antworten. Zum Beispiel: Weil alle Idioten auch mehr arbeiten. Weil das Gesparte in fremde Taschen wandert. Weil viele börsennotierte Unternehmen staatsferne Parallelgesellschaften bilden.” Um dann noch zu präzisieren “Beschließen Sie, ab sofort nicht mehr mitzumachen, falls Ihre Antworten Sie beunruhigen.” Jetzt mag ja die Kunst des auf dem Wasser Laufens zu erlernenum nochmals zum Ausgangspunkt meiner Gedanken zurückzukehren – schon aus rein physikalischer Perspektive betrachtet, eine eher komplexe Herausforderung sein, mit oder ohne Segen von ganz oben. Aber eine Aufgabe, die leichter zu bewerkstelligen wäre, könnte jene sein, einfach mal hier zu sitzen, im Jetzt zu verweilen, alleine, mit dem Partner, mit Freunden und sich nicht der sinnentleerten Quotenscheiße im Fernsehen hinzugeben. Und zu versuchen, selber ein paar Gedanken zu entwickeln, könnte in Summe schon eine ordentliche Schubkraft für die Gesellschaft liefern, vielleicht da oder dort eine längst notwendige Kehrtwende einleiten. “Und hören Sie um Gottes willen damit auf, sich widerspruchslos erzählen zu lassen, irgendeine Entscheidung sei alternativlos gewesen.” lautet Empfehlung Nummer 7.

Wo lernen wir, den eigenen Weg zu gehen? Einmal auch Rückgrat zu beweisen, wenn Klarheit angebracht ist? Wo sind wir bereit für Dinge einzustehen, für Anliegen zu kämpfen? Meine mir wahrscheinlich nicht neue Freunde bescherende Antwort lautet: Wir sind noch immer zu überversorgt. Und die Auslagerung des Denkvermögens an den Staat und an die Politik hat uns geistig, emotional und vor allem in der Wertehaltung erschlaffen lassen. Auch wenn ich einigermaßen geübt darin bin, eigene Gedanken zu formulieren, so liebe ich die Reduktion der Gedanken auf Zeichen, auf Bilder. Daher gehört zu meinem absoluten Favoriten die Serie “Sagen Sie jetzt nichts” in der *Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Ich finde es so genial, Persönlichkeiten auf jenen Moment zu reduzieren, wo sie nur mit ihrer Gestik für den Bruchteil einer Sekunde, bildlich festgehalten, antworten können. Letzte Woche war darin Bud Spencer zu Gast, der zu Mensch gewordene Fleischberg, der sich in meiner Jugend “systematisch durch die Instanzen prügelte”, aber letztendlich immer auf der richtigen Seite des Gesetzes gestanden hat. Der Leinwandheld, der mit bürgerlichem Namen Carlo Pedersoli heißt, erzählt in seiner Biografie eine für ihn und sein weiteres Leben richtungsweisende Geschichte. Trotz Olympiateilnahme in dieser Disziplin, hat der mittlerweile 84jährige Schauspieler nicht mal das Schwimmen richtig gelernt. “Wie es sich für diese Lebensgeschichte gehört, musste da schon ein Seemann kommen. Er hieß Ninuccio Savarese und kreuzte mit seinem Boot im Golf von Neapel. Carlo war gerade vier Jahre alt, als Ninuccio ihn beherzt packte und ins Meer warf. Unter den Augen des Seemanns strampelte Carlo wild im Wasser. Und siehe da: Das Element war ihm gewogen. Pedersoli konnte schwimmen, weil Schwimmen sein Schicksal war”, beschreibt die *“Zeit” Bud Spencers prägendes Erlebnis. Versuche von ihm, über das Wasser schreiten zu wollen, sind nicht überliefert – das wäre vollständigkeitshalber noch anzumerken. In seinen Erinnerungen schreibt er dazu “Es ist jener Seemann gewesen, der mir zum ersten Mal seine Gabe offenbarte, sich über Wasser zu halten. Ein neapolitanisches Sprichwort wurde von nun an mein Mantra: *Futteténne – Scheiß drauf!”. Wäre es nicht manchmal ratsam, innere Widerstände gegenüber richtigen Handlungen mit dieser einfachen aber sicherlich wirkungsvollen Lebensformel zu überwinden?

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