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Ein Ouzo für den Goldesel

Es war einmal ein wunderbares Land mit türkisfarbenem Meer und goldenen Stränden. Ein Land mit fröhlichen Menschen, die geharzten Wein tranken und ausgelassen Sirtaki tanzten. Ein Land mit glutäugigen Männern, die den blonden Mädchen „Ela!“ und „Ti kanis?“ nachriefen und Frauen, die in pittoresken, weiß gekalkten Häuschen wunderbare Lammgerichte kochten. Die Touristen mochten das Land und seine Menschen, denn sie hatten das Gefühl, sich dort aus ihrem Alltag ausklinken zu können. Sie mochten auch die Sorglosigkeit und das Lebensgefühl, das dem Heute mehr Bedeutung beimaß als dem Morgen. Viele Jahre gingen ins Land, in denen Griechenland – so hieß das wunderbare Land – Nummer eins auf der Beliebtheitsskala der Urlaubsländer der Österreicher und Deutschen war. Und in diesen Jahren gaben die Griechen – so hießen die Bewohner des wunderbaren Landes – stets mehr aus als sie einnahmen. Bis es eines Tages hieß: „Wir haben kein Geld mehr.“ Da war guter Rat teuer. Sehr teuer sogar. Denn die anderen Länder mussten nun für den Schlendrian und die Misswirtschaft Griechenlands bezahlen. Alleine Deutschland sollte 173 Milliarden Euro an Finanzhilfe für Griechenland bereitstellen. Das fanden die Deutschen gar nicht gut. Mit Costas und Jorgos in der Taverne zu trinken war das eine, aber ihre Schulden zahlen – wirklich nicht!  Denn Bier ist Bier und Ouzo ist Ouzo.

Cut. Schwenk in die Realität. Flughafen Tegel, Berlin. Wie so oft hänge ich meinen Gedanken nach. In der Abflughalle Business as usual. Gestresste Geschäftsreisende, vorfreudige All-Inclusive-Urlauber. Die Finanzkrise scheint hier weg zu sein. Zugegeben: Die Abflughalle eines Flughafens ist vielleicht nicht unbedingt ein Brennglas, um gesellschaftliche Probleme im letzen Detail zu erfassen. Dennoch gibt es kaum einen Ort auf der Welt, an dem Menschen in einer solch komprimierten Mischung aus Geschäftigkeit, Lebensfreude, Angst und Entspannung anzutreffen sind. Was sie alle – meine Person eingeschlossen –  eint, ist das Privileg, heute in ein Flugzeug zu steigen und sich an einen Ort ihrer Wahl zu begeben, ein Vorrecht, das vielen Menschen auf dieser Welt ein leben Lang verwehrt bleibt. Während ich am Rollfeld auf meinen verspäteten Flieger warte – die Maschine kann aus Personalmangel nicht rechtzeitig abgefertigt werden –  lese ich im Magazin Cicero eine Story von Monika Maron, die fragt: “Warum haben wir uns eigentlich damit abgefunden, als Material für die Wirtschaft zu dienen, unser ganzes Menschsein dem Kriterium der Effektivität zu unterwerfen, uns selbst und unsere Kinder ständig als Geldwert berechnen zu lassen…”. Warum eigentlich? Ich kann dieser Einschätzung einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung nur zustimmen. Wir erleben dieser Tage, dass es immer größerer Kraftanstrengungen bedarf, um diese Fehler, um dieses politisches Versagen zu korrigieren.

Und Griechenland ist da kein Ausnahmefall. Selbst meine Geburtsstadt Köflach in der Westeiermark ist ein Klein-Hellas. Auch dort haben die regierenden Sozialdemokraten Jahre hindurch über ihre Verhältnisse gelebt und die Stadt an den Rand des Ruins getrieben. Der Rechnungshof des Landes führt gerade eine Sonderprüfung durch und versucht das Ausmaß der Katastrophe festzustellen. Egal, ob in der westeirischen Provinz oder irgendwo anders auf diesem Globus, es Bedarf nicht nur eines Regelwerks inklusive effizientem Alarmsystem, um derartige Finanzkrisen schon im Keim ersticken zu können, sondern auch eines Strafrechts, das die Verantwortlichen in die Schranken weißt.

Und noch etwas: Ich behaupte, trotz des Reichtums, den Staaten wie Österreich in den letzten 50 Jahren erwirtschaftet haben, sind wir am Limit unserer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Sparpakete einzelner Regierungen, die auf die Steuerzahler umgelegt werden, werden die Schulden nicht mehr wirkungsvoll abbauen. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Zukunftsdebatte, eine Debatte über den Verzicht sein wird müssen! So werden wir nicht weiterleben können. Ersatzdebatten, wie die über die Erderwärmung oder über den Nichtraucherschutz haben ausgedient, jetzt geht es ans Eingemachte! Die einzige Wahlfreiheit, die wir in unseren Breiten noch haben ist jene, dass wir  selbst entscheiden können, worauf wir in Zukunft verzichten werden.

Es sieht doch so aus: Bürger fordern immer mehr vom Staat, Politiker geben diesen Forderungen nach, denn schließlich droht bei Nichterfüllung das politische knock out. Wahrheiten sind schwer zu verdauen, also geht sie weiter die politische Hochstapelei, von Regierenden gelebt, von der Opposition geduldet und vom Bürger gewollt. Am Ende stehen dann diejenigen protestierend auf den Straßen, die noch kurz davor Dinge gefordert haben, deren Unfinanzierbarkeit Staaten kollabieren lassen. Wenn wir aus all dem etwas lernen wollen, dann sollten wir bei uns beginnen und fragen, wo wir bei uns selbst mit dem Verzicht beginnen wollen, um die nächsten Krisen zu verhindern. „So wie ein fauler Apfel auch die anderen im Korb ansteckt, kann die griechische Korruption… über Italien ganz Europa verderben.« Wo hat man das in diesen Tagen doch gleich gelesen? Nirgends. Der Warnruf ist 63 Jahre alt. Er war Teil einer Analyse der politischen Lage in Südosteuropa, mit der der US-Diplomat Dean Acheson den Weg für die folgenreichste Rede der Nachkriegszeit bahnte. Gehalten hat diese Rede der amerikanische Präsident Harry Truman am 12. März 1947.“* Sollten wir uns angesichts dieser offensichtlichen Geschichtswiederholung nicht ein paar essenzielle Fragen stellen? Zum Beispiel, ob wir mit der Entscheidung zur Rettung Griechenlands tatsächlich eine Fehlentwicklung korrigieren, oder anderen Staaten einen Freibrief geben, weiter über ihre Verhältnisse zu leben. Oder ob wir nicht vielmehr jetzt ein Exempel statuieren müssen für all jene, die glauben, dass die Kostenrechnung für Staaten weiterhin ausgeblendet werden kann. Oder ob in Wahrheit der Konkurs Griechenlands nicht das geringere Übel gewesen wäre,  hätte er doch die andern Staaten zum Umdenken bewegen können.

Roger Köppel, der Chefredakteur der Schweizer Weltwoche, schrieb dieser Tage “Die Rettung Griechenlands war ein Fehler. Die Finanzkrise hat einen falschen Wahn der Machbarkeit erzeugt und ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Wir haben uns daran gewöhnt, die Lebensrisiken mit Staatsmilliarden abzuwenden.” Das wird nicht länger funktionieren. Denn Goldesel gibt es nur im Märchen.

* DIE ZEIT, 13.5.2010