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Verbale Abrüstung

Irgendwie habe ich die Lust am Schreiben von Blogs verloren. Wenn ich all die Diskussionsbeiträge und Wortspenden zu gesellschaftspolitischen Fragen in den sozialen Medien verfolge, dann bin ich mir nicht sicher, ob ich da wirklich Teil der Community sein möchte. Zu einseitig und zunehmend hasserfüllt scheinen mir viele Debatten. Der britische Schriftsteller Ian McEwan hat mir dieser Tage aus dem Herzen gesprochen, als er in einem Interview zu Protokoll gab: „Die öffentliche Diskussion ist es kaum mehr wert, dass man sich äußert“. Er begründete seine Sicht der Dinge: „Die Auseinandersetzungen sind schwierig und bösartig geworden. Und Gruppen, deren ursprüngliche Absichten absolut in Ordnung waren, sind inzwischen extrem intolerant gegenüber den Ansichten anderer geworden und bereit, sie bis auf den Tod zu bekämpfen“. Ich gehe davon aus, dass der von ihm beschriebene Kampf bis zum bitteren Ende metaphorisch gemeint gewesen ist. Aber ich kann mich der Analyse des Bestsellerautors und des Trägers vielfacher Auszeichnungen und Ehrungen voll und ganz anschließen. All das, was wir mittlerweile in den sozialen Foren erleben, hat nichts mehr mit differenzierter Diskussion zu tun, da schlagen einem oftmals nur noch Verunglimpfung, ohnmächtige Hasserfülltheit und das Nicht-Ertragen-Wollen anderer Sichtweisen entgegen. Ich war in all den sozialen Netzwerken nie ein „Freundesammler“, die Anzahl meiner Verbindungen ist überschaubar und irgendwie habe ich zu fast allen Mitgliedern meiner Gruppe einen persönlichen Bezug. Und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, aber ich wundere mich immer wieder über den Gefühlszustand von Usern und Kommentatoren, die scheinbar den Großteil des Tages damit verbringen, eine Unmutsäußerung nach der anderen im World Wide Web abzusetzen. Schon zu seiner Zeit wusste der französische Komödiendichter und Spötter der Adelsgesellschaft, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1732 – 1799)„Sachkenntnis ist das letzte, was man für eine lebhafte Diskussion benötigt“. Will heißen, wo finden heute in all den sozialen Medien Unterhaltungen statt, die auf Basis von Sachlichkeit und Fairness beruhen? Da gibt es menschliche und technische Faktoren, die dazu führen, dass Debatten oft engleisen“, wie die österreichische Publizistin Ingrid Brodnig betont. „Einer der wichtigsten Aspekte ist die sogenannte Unsichtbarkeit. Wenn Menschen online diskutieren, können sie sich nicht in die Augen schauen. Es gehen wichtige nonverbale Aspekte der Kommunikation verloren.“ Übersetzt bedeutet das, wenn ich nicht mit eigenen Augen sehe, was ich mit meinen Worten beim „Empfänger“ anrichte, dann sinkt die Hemmschwelle deutlich nach unten. Verbale Entgleisungen, harsche Kritik und Anfeindungen hat es schon immer gegeben. Neu ist vielleicht, dass all das nicht mehr innerhalb eines kleinen Aktionsradius passiert, sondern im Sekundentakt vor den Augen eines Millionenpublikums, das Ankläger und Richter zugleich ist. Es findet eine noch nie dagewesene Form der Entblößung des Menschen statt, nichts scheint mehr an Privatsphäre schützenswert zu sein. Vielleicht klingt das jetzt zu pathetisch, aber darf eine Art Selbstbeschränkung in der Wahl der Worte von Usern eingefordert werden? Eine verbale Abrüstung der sich immer weiter aufschaukelnden Debatten ohne jeden Anstand und Respekt täte dringend Not! Mit der Anwendung der Goldenen Regel Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ könnte ein niveauvoller, ethischer Standard für eine sehr wirkungsvolle und einfach zu handhabende persönliche Handlungsmaxime in sozialen Netzwerken erreicht werden!