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Nur ein paar Flügelschläge

In irgendeiner Tageszeitung las ich kürzlich über den Tod des großartigen Vico von Bülow alias Loriot. Der letzte Satz der Meldung lautete: „Der Humorist verstarb an Altersschwäche.“ Irgendwie haben mich die Worte stutzig gemacht. Und nachdenklich. Weil das so selten ist. Wer stirbt denn heute noch an Altersschwäche? Mit 87! Das ist schon außergewöhnlich. Es scheint, als hätten wir uns so an die Herzinfarkte, Depressionsschübe und Burnouts von Menschen in den besten Jahren gewöhnt, dass ein „natürliches“ Altwerden und Sterben zur Ausnahme geworden ist. Schlimmer noch: Wir haben uns arrangiert mit dem Leben im Hamsterrad. Und seinen offensichtlichen Folgen. So als wäre das der Lauf der Dinge. Ist das nicht absurd?

Letzte Woche dann die Bilder vom todkranken Steve Jobs, die mir sehr unter die Haut gegangen sind. Da schafft einer ein Imperium, ist die Energie, die Kreativität, die Manpower in Person, hinterlässt – lt. eigener Aussage – einen ziemlichen Fußabdruck im Universum, und doch: der Tod ist keine verhandelbare Option. Zwischen Anfang und Ende stehen ein paar wenige Flügelschläge des Lebens. Viele Wege im Diesseits sind vorgezeichnet, beispielsweise durch das soziale Umfeld, in das du hineingeboren wirst. Ein paar kleine Dinge lassen sich selbst gestalten. Vielleicht wird die zentrale Frage irgendwann nicht lauten: „Was hast du alles gemacht?“ sondern „Wie hast du gelebt?“ Daran sollten wir uns orientieren.

Das Gegenteil ist der Fall: Laut Ärztekammer leiden in Österreich rund 500.000 Menschen unter Burnout. 1,1 Millionen gelten als gefährdet. Die Zahl psychischer Erkrankungen stieg seit 1991 um 184 Prozent. Weil immer weniger Menschen dem Druck dieses Systems standhalten können.* Weil uns auch im digitalen Zeitalter, wo Mensch und Maschine zusehends verschmelzen, Grenzen gesetzt sind. Dazu kommt, dass wir in vielen Bereichen unserer Gesellschaft  fremdbestimmt sind. Ein System, dem wir uns freiwillig unterordnen, regelt unser Lebenstempo, unseren Dresscode, die Zeit, wann wir aufstehen und darüber, wie oft wir unsere Kinder sehen, es lässt uns nicht in Ruhe essen , verpflichtet uns zum Smalltalken mit Leuten, die uns anöden und dazu freundliche Nasenlöcher zu machen  – der guten Kontakte oder der Kohle wegen. Zum Kompensieren konsumieren wir dann nicht selten. Schon pervers!

Der radikale britische Systemkritiker Tom Hodgkinson brachte seine Zweifel an dieser Art zu leben vor kurzem in einem Interview auf den Punkt:  Wer hat verfügt, dass die Arbeit am besten um neun Uhr morgens beginnt? Wer kann beweisen, dass moderne Kommunikationstechnologien Zeit sparen? Wer sagt, dass man Karriere machen und seine Kollegen in Grund und Boden konkurrieren muss? Wer hat den Tod des produktiven Zwei-bis-drei-Stunden-Mittagessens mit drei Martinis auf dem Gewissen? Wer hat den Mittagsschlaf verboten? Warum lassen wir uns schlecht behandeln, wenn wir unser Konto überzogen haben, obwohl die Bank sich just daran dumm und dämlich verdient? Und warum – warum? – kaufen wir von unserem eigenen, schwer verdienten Geld das Lieblingsinstrument aller Sklaventreiber: einen Wecker?

**Die Frage, die sich mir zunehmend stellt: Ist es das wert? Aus vollem Herzen JA zu sagen, fällt mir zunehmend schwerer. Und vermutlich ernte ich jetzt ein paar hämische Kommentare darüber, dass der Scheucher gerade die  Midlife Crisis touchiert. Sei´s drum! Und überhaupt: Ursprünglich beschreibt das griechische Wort krisis eine „problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation“. Wendepunkt ist doch gut, oder? Na also.

*Zahlen: Format, Mai 2010
** die ZEIT, August 2011