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Kniefall vor den Joghurttörtchen

Manchmal wird am Buffet des Lebens schon eine Extraportion Ironie angerichtet: Da schwadroniere ich jahrelang aus tiefster Überzeugung über das Thema Entschleunigung und beschwöre die „Neuentdeckung der Langsamkeit“, um mich dann beim temporeichen Freizeitsport publikumswirksam zu verstümmeln. Aber alles der Reihe nach: Wahrscheinlich war es das Kaiserwetter nach der langen Sonnenabstinenz, vielleicht auch die wunderschöne Landschaft in meiner Kärntner Wahlheimat am Klopeiner See, möglicherweise auch die Gelegenheit, meinem Nachwuchs zu beweisen, was ihr alter Vater sportlich noch auf dem Kasten hat. Jedenfalls war ich hochmotiviert, den Beginn der Sommersaison nicht nur im Rahmen einer zünftigen Grillage, sondern davor auch mit körperlicher Ertüchtigung zu zelebrieren. Das Sportgerät meiner Wahl: nagelneue Inlineskates, quasi Jungfernfahrt. Da cruise ich also beschwingt die Promenade entlang, eine Strecke, die ich normalerweise laufend zurücklege, und finde meine Technik schon ganz passabel. Nach der zweiten Runde am See verzehre ich genüsslich ein Eis, während mir meine siebenjährige Tochter, ihres Zeichens Skaterprofi, ein paar taktische Tipps zur Optimierung meiner Fahrweise gibt. Voller Energie und neuem Wissen starte ich nochmals durch, vor mir in der prallen Sonne der glitzernde See, in dem sich bereits die ersten Unerschrockenen erfrischen, auf der Nordpromenade flanieren zahllose, gut gelaunte Menschen. Noch lache auch ich.

Das Grüppchen Pensionistinnen, das aus einer überschaubaren Entfernung vor mir auftaucht und die ganze Breite der Promenade für sich beansprucht, hat sich offenbar seinerseits Entschleunigung ganz groß auf die Fahnen geschrieben. In aller Ruhe studieren die Herrschaften – beim Näherkommen wird phonetisch klar, sie kommen aus unser aller Lieblingsnachbarland – den Inhalt der Mehlspeisenvitrine. Mein Rufen und Gestikulieren wird ignoriert, schließlich ist der Fokus ganz auf Cremeschnitten und Joghurttörtchen gerichtet. Ich drossle das Tempo auf ein Minimum und als sich die illustre Truppe immer noch nicht vom Fleck bewegt, entscheide ich mich im Bruchteil einer Sekunde für einen Kniefall vor den Damen. Ich habe kaum mehr Geschwindigkeit und gehe quasi in Ultraslowmotion zu Boden. Während ich falle, registriere ich, wie sich mein rechter Schuh im Asphalt verkeilt und sich der Knöchel in einem Winkel verdreht, wie das anatomisch bestimmt nicht vorgesehen ist.

Da liege also auf der Seepromenade, zwar ohne eine Schramme, dafür aber mit grotesk verdrehtem Fuß. Die Damenrunde kaum zwei Meter von mir entfernt zeigt sich von meinem Sturz unberührt und übt sich in Ignoranz. Hilfsangebote: Fehlanzeige. Ein Mann eilt mir schließlich zur Hilfe und stellte mich auf die Füße. Der Kellner des Hotels bringt mir Eis, ich schleppe mich zurück zum Auto. Schnitt! Im Unfallkrankenhaus Klagenfurt werde ich sofort behandelt, zuerst röntgenisiert, dann operiert, da der rechte Außenknöchel gebrochen ist. Weil ich ich aus medizinischer Sicht nicht nüchtern bin (ich hatte Mittag gegessen) ist eine Narkose nicht möglich und ich komme in den „Genuss“ eines Kreuzstiches, was bedeutet, dass der Körper, ab dem Unterleib abwärts für einige Stunden gelähmt ist. Dieses Ereignis hat mich die letzen Tage mehr beschäftigt als mein Sturz. Die Operation war um 20 Uhr vorbei, aber ich musste im Aufwachzimmer liegen bleiben, bis ich meine Zehen wieder bewegen konnte, was erst am nächsten morgen kurz nach 1 Uhr früh möglich war. Und es ist schon ein beklemmendes Gefühl, Signale vom Hirn wegzusenden, und zu merken, dass sie nichts bewirken. Heute, am 4. Tag nach der Operation, darf ich das Krankenhaus wieder verlassen. Eine Metallplatte hält meinen Bruch zusammen, ein Gips sorgt dafür, dass nichts verrutscht. Ich verlasse das Krankenhaus mit einem paar Krücken, die mich die nächsten sechs Wochen begleiten werden. Und auch mit einem positivem Resümee meines Lapsus`: Nämlich 1. welches Privileg es doch ist, solch eine medizinische Versorgung wie in unseren Breiten zu haben und 2. wieder einmal vor Augen geführt zu bekommen, wie wertvoll es ist, in Wahrheit gesund zu sein.