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Tellerranddenker

Eine der billigsten Übungen, um in den sozialen Medien Zuspruch und Anerkennung zu finden, ist das Politik-Bashing gegen alles und jeden, der sich nicht in den Windschatten des Mainstreams brav und ordentlich und vor allem widerspruchslos einreiht. Wer innerhalb des Tellerrandes lebt, sprich in Österreich, der attackiert tagein tagaus die FPÖ und deren Repräsentanten, jene, die gerade noch über den Tellerrand blicken können oder wollen, knöpfen sich bei jeder Gelegenheit „Monster“, wie den kürzlich – erfolgreich – wiedergewählten Ministerpräsidenten von UngarnViktor Orbán, vor und die besonders „Weitsichtigen“, im Sinne von globaler Betrachtungsweise, die Ereifern sich im Sekundentakt über die Politik des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump. Was die genannten Personen und Parteien eint, ist der Umstand, dass es vollkommen egal ist, was diese Politiker machen oder auch nicht, es ist aus der Sicht des selbsternannten Meinungsdiktates ohnedies immer falsch. Interessanterweise endet der Toleranzbegriff bei den Vertretern der Gattung „Gutmenschenfraktion“ immer dann, wenn jemand eine andere Sichtweise der Dinge vertritt. Die zur Schau gestellte Nichtanerkennung demokratischer Entscheidungen oder Mehrheiten ist die Basis des Handelns, die intellektuelle Einbahnstraße gibt die Stoßrichtung vor, wenn die „Twitteria“ dem Atemnotstand nahe, nur mehr danhinhechelt, ob all der Bedrohungen, die von den eingangs genannten Personen und weiteren Populisten dieser Welt ausgeht.

Ich kann es gar nicht oft genug sagen, wie mich viele Debatten richtig nerven, die Zornesröte treibt es mir NICHT ob der Inhalte ins Gesicht, sondern wegen dieser unsagbaren Heuchelei, die den Diskurs bestimmt! Insbesondere dann, wenn mit Steuergeld finanzierte Veranstaltungen jede Differenziertheit vermissen lassen und die Einseitigkeit in der Betrachtung als „roter Faden“ die dramaturgische Grundlage bildet. Es möge Michael Köhlmeier beim Gedenkakt des Parlaments mit seinem Redebeitrag in Groschenzählermanier zum Wechseln von politischem Kleingeld ausgerückt sein, um den moralischen Zeigefinger gegen die immer selben – zurecht (!) – in Stellung zu bringen, aber darf man nicht gerade von einem solchen Exponenten mehr Differenziertheit erwarten? Ein Ausgangspunkt könnte sein, einmal vor der eigenen Tür der Kunst und Kultur mit dem Kehraus zu beginnen. Hier könnte eine Vorbildfunktion nicht nur in der Theorie, sondern auch mal in Praxis vorgelebt werden, Verhaltensweisen, die sonst gerne mal schnell gefordert werden bei all den Tellerranddebatten. Wo bleiben da die unüberhörbaren und an Deutlichkeit nichts vermissenden Worte? Heuer, 80 Jahre nach dem Anschluss an das Hitler-Deutschland, wäre es eine gute Gelegenheit, um ein paar Orte, Plätze und Straßenzüge von dem braunen Mief der Vergangenheit zu befreien. „Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt“, ja, 100 % d‘accord, lieber Herr Köhlmeier, es ist die Dosierung, die immer weiter verstärkt wird, bis die Menschen ihr erliegen. Viele ihrer Künstlerkollegen von damals haben lautstark für den Anschluss geworben, die Kampagnen dafür großzügigst finanziell unterstützt. Die Ahnengalerie im Wiener Burgtheater zeigt einige dieser Frauen und Männer, ihre Künstlerkollegen, noch 2018 ganz selbstverständlich. Niemand stößt sich daran, keiner findet etwas dabei, wenn die in Ölfarben auf Leinen portraitierten Nazi-Versteher Teil jeder Führung durch das größte deutsche Sprechtheater – einem Staatsbetrieb – sind. Wie wäre es, wenn jene, die so gerne von den anderen eine Vorbildfunktion einfordern, mal selbst in ihrer Community einen moralischen Maßstab setzen?

Oder in Graz, da analysierte ein 14-köpfiges Komitee für eine Studie insgesamt vier Jahre lang die Namen der Straßen in Graz um tausende Euro an Steuergeld. Das im März 2018 präsentierte Ergebnis: fast jeder achte Straßenname scheint entweder in Bezug mit der NS-Partei zu stehen oder ist „aus demokratiepolitischer Sicht kritisch zu beurteilen“. Nicht wenige Künstler sind darunter, die den Anschluss an das Nazi-Reich gar nicht erwarten konnten, sondern publizistisch, Schritt für Schritt, Text für Text, die Menschen von der Sinnhaftigkeit vom Eintritt ins 3. Reich zu überzeugen versuchten. Der Bericht wurde zur Kenntnis genommen, gewarnt wurde vor den hohen Kosten von möglichen Umbenennungen von Straßenzügen. Ein Aufschrei der intellektuellen Elite ist mir nicht bekannt! Und so lebt es sich weiter gut mit den im Stadtbild fest verankerten Nazis, nicht nur in der steirischen Landeshauptstadt. Aber das ist Österreich, es gibt die guten und die schlechten Nazis! Die guten Nazis sind jene, die sich mit dem System arrangiert haben, die sich zuerst für die Diktatur stark gemacht haben und nach Kriegsende wieder glühende Verfechter der Demokratie geworden sind. Männer und Frauen, deren Ideologie und vor allem deren zweifelhafter Charakter nur selten hinterfragt wurde. Mit Verdienstorden der Republik überhäufte Künstler, Politiker und Staatsmänner sind daraus geworden. Gestört hat das die breite Masse nur im Ausnahmefall. Wenn ich mir die Einseitigkeit der vom Mainstream bejubelten Worte eines Herrn Köhlmeier anhöre, dann frage ich mich schon, welcher Beitrag hier geleistet wurde, um daraus klüger zu werden für ein andermal. Aber es ist halt einfacher in der Gegenwart angekommen, jemandem ein Liederbuch um die Ohren zu werfen, wenn es politisch gerade mal ins Konzept passt, als die eigenen braunen Sümpfe trocken zu legen, als omnipräsente Nazi-Versteher 80 Jahre danach aus dem Alltag zu verbannen, die noch immer Orte, Plätze und Straßenzüge in diesem braunen Morast knöcheltief stehen lassen. Wer für die Zukunft aus der Vergangenheit lernen möchte, der wird nicht nur seine ideologischen Scheuklappen ablegen müssen. 80 Jahre nach dem Anschluss damit zu beginnen würde wohl niemanden veranlassen, von überhastetem Handeln zu sprechen!