Blog

Pariser Anekdoten

Die vergangenen Tage führten mich nach Paris zu einem Philosophieseminar. Wieder mal schwärme ich von den Eindrücken einer Stadt. Wenn man Lebenskultur in jeder Hinsicht für Geist und Seele erfüllend annehmen kann, dann findet man in der “Stadt an der Seine” wohl einen der besten Plätze auf diesem Planeten. Fast ein wenig demütig genieße ich dieses Privileg, immer wieder entsprechende Reisen unternehmen zu dürfen, die mich persönlich weiterbringen, die mir neue Facetten des Lebens zeigen. Wie soll sich ein Mensch weiter entwickeln, wenn er nie etwas von der Welt gesehen hat, wie soll im Kopf Neues entstehen, wenn dort nur alte Bilder abgespeichert sind? Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich bin überzeugt davon, dass wir viel zu wenig Wissen aus der Vergangenheit erfasst haben und uns öfter mal unserer Wurzeln besinnen sollten, als jedem vermeintlichen Trend blindlings zu folgen. Aber persönliches Handeln in der Jetztzeit benötigt Impulse in Form von Erlebnissen, von Wissen, von Gesehenem, um so wiederum Handlungsoptionen für die Zukunft entstehen lassen zu können. Dieser kleine Exkurs soll zeigen, dass ich mich wirklich mit den wesentlichen Fragen am vergangenen Wochenende beschäftigt habe.

Aber nachdem der Körper bekanntlich nicht nur von “Luft und Liebe” leben kann, standen auch lebenserhaltende Maßnahmen am Programm. Beispielsweise ein Abendessen, das an geschmacklicher Raffinesse kaum zu überbieten sein dürfte. Fisch-Carpaccio, Gänseleber, ein ordentliches Steak, ein paar Nachspeisenvariationen, eher zu viel als zu wenig Wein, ein oder zwei präventive Cognacs nach dem Essen, die den Abschied vom leeren Tisch erleichtern sollten. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Geschichten erzählt und gelacht, dass wir uns teilweise am Sessel halten mussten. Beispielsweise entstand aus dem Nichts vollkommen unvorbereitet folgender Dialog. Otto sagt zu Dieter: “Du kennst doch meine Frau.” Darauf Dieter: “Ich kenne sie nicht.” Dann wieder Otto: “Doch, du hast sie neulich auf diesem Begräbnis kennen gelernt.” Dieter erwidert mit deutscher Sachlichkeit: “Ich habe nicht in den Sarg geschaut.” Für diese etwas tief liegende Pointe wurde Dieter mit einem bösen Traum noch in der selben Nacht bestraft. Er fand kaum Ruhe, weil er sich nur beim Öffnen von irgendwelchen Särgen gesehen hat. Seine nächtlichen Erlebnisse berichtete er mir, als wir gerade beim weltberühmten Varieté Moulin Rouge im Pariser Stadtviertel Montmartre im Bus sitzend vorbeifuhren, um sofort das Thema zu wechseln. “Weißt du, wie auf französisch die Bordelle heißen?”, ertönt es mit leicht beschlagener Stimme aus seinem Mund. Ich verneine. Er “Maison de la tolérance.” Haus der Toleranz, was für eine wunderbare Umschreibung für Orte, die vorzugsweise von Männern aufgesucht werden, um den Testosteronhaushalt stabil zu halten.

Wir waren gerade auf dem Weg zum Sacré-Cœur, diesem unglaublichen Prachtbau oberhalb von Paris. Nach der Ankunft flanierten wir vom Auto zu einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Frankreichs Hauptstadt, der von Paul Abadie geplanten Wallfahrtskirche. Zum vereinbarten Zeitpunkt für die Abfahrt standen alle Männer vor den drei Kleinbussen, die uns dorthin gebracht hatten. Es vergehen Minuten, die beiden weiblichen Mitglieder unserer Reisegruppe kommen und kommen nicht daher. Wir warten 10 Minuten, wir warten eine halbe Stunde, wir warten eine Dreiviertelstunde. Werner, unser Guide, versucht mit einer der Damen telefonisch Kontakt aufzunehmen, was auch gelingt. Ihr Aufenthalt wird lokalisiert, sie sind glücklicherweise nicht auf einem der Weihnachtsmärkte, der im „Zuckerbäckerstil“ im 19. Jahrhundert erbauten Kirche entführt worden. Dennoch, sie sind noch immer nicht aufgetaucht. Plötzlich ein neuerlicher Handyanruf. “Wir stehen am Haupteingang des Sacré-Cœur und können die Rückseite nicht finden.” Schallendes Gelächter bei allen, die sich schon fast eine Stunde die Füße in den Bauch gestanden hatten, bis auf Alfons, einem wunderbaren Konzertpianisten, der die Leiden der vergangenen Nacht im Bus beabsichtigt auszukurieren. Während er den Weg ins Fahrzeug sucht, verfehlt er mit dem Kopf die Türe. Aua, aber er ruht glücklich und zufrieden auf der Rückbank unseres silbernen Busses, während Frank sich auf den Weg macht, unsere beiden Mitreisenden zu retten, was ihm auch gelingt.

Die gesicherte Erkenntnis setzt sich somit wieder mal durch und belegt, dass vorne nicht dort zu finden ist, wo hinten ist. Ich könnte noch eine Geschichte erzählen, die Peter am Abend zum Besten gegeben hat. In seiner Sturm- und Drangzeit hatte er sich einmal ordentlich einen hinter die Binde gekippt, um das im bundesdeutschen Jargon zu formulieren. Irgendwie hatte er den Weg nach Hause gefunden. Am nächsten Morgen verabschiedet er sich von seiner Frau mit den Worten “Du Schatz, ich gehe jetzt mal mein Auto holen”. Er verlässt das Haus, davor steht sein Wagen, er konnte sich nicht mehr exakt daran erinnern, wie er ins Bett gekommen war. Aber das soll anderen von uns auch schon passiert sein. Die Einsamkeit der Nacht habe ich dann noch versucht mit Dieter, Ewgenij und Viktor abzukürzen, die Bemühung war ambitioniert, nur konditionell und sozusagen technisch gab es dann irgendwann Schwächen, die den Weg ins Bett unabdingbar machten. Egal, auch nach einer kurzen Nacht habe ich wieder in den aufrechten Gang zurückgefunden. In der Übergangsphase vom Tiefschlaf zur Wachsamkeit konnte ich bei der morgendlichen Fahrt durch die Stadt von einem Mitreisenden zwei Zitate mitnehmen, über die ich noch meditieren werde. Eines lautet in etwa so “Widersprich nie einer Frau, das macht sie nach ein paar Minuten ohnedies selbst.” und “Wenn es dir gut geht, mach dir nichts daraus, auch das geht vorbei!”. Erstere Ansage ist natürlich geschlechtlich wertend und daher abzulehnen, das versteht sich von selbst. Zweitere Weisheit hat schon auch etwas Tiefgründiges dabei. Wieso tun wir uns manchmal so schwer, die kleinen und großen Geschenke des Lebens, abseits des Materiellen anzunehmen, frage ich mich am Flughafen Charles-de-Gaulle sitzend. Genieße den Augenblick, könnte die entsprechende Formel für ein wenig mehr persönliche Zufriedenheit lauten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne letzte Arbeitswoche, vor dem Fest der Feste!