Hört auf euch zu verstellen!
Es wird in unseren Breiten nicht mehr viele Sommertage im heurigen Jahr geben. Man merkt schon deutlich, dass die Tage kürzer geworden sind und sich die Außentemperaturen von der 30 Grad Grenze deutlich nach unten bewegen. Umso mehr habe ich es genossen, dass ich gestern mit einer lieben Freundin, der Künstlerin Hilde Fehr, im Schatten des Wiener Museumsquartiers um die Mittagszeit einen Kaffee unter freiem Himmel trinken durfte, um dabei die Lage der Welt wieder mal zu erörtern. Hilde nur als Künstlerin zu bezeichnen würde zu kurz greifen, sie ist eher ein Multitalent im Spektrum der Kunst bis hin zur Persönlichkeitsbildung. Leser meines Blogs werden sich vielleicht erinnern, dass die gebürtige Vorarlbergerin jene Frau ist, die mich in einem Intensivprogramm aus verbaler Züchtigung und Erniedrigung so weit gebracht hat, dass ich heute problemlos frei gesprochene Vorträge halten kann, ohne schriftliche Unterlagen. Diese Art der Brachialpädagogik hat letztendlich dazu geführt, mir einfach mehr zuzutrauen, meine Angst, wortlos vor Publikum zu stehen, zu überwinden.
Hilde und ich werden sozusagen Kollegen. Anfang Oktober erscheint im Ibera Verlag ihr erstes Buch “Endlich lieb ich mich!”. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Werk vielen Menschen aus dem Herzen sprechen wird. Der Inhalt ist schnell erzählt: “Sie ist aus dem Entsprechungszwang, den gültigen Schönheitsdogmen folgen zu müssen, ausgestiegen und findet sich sexy, schön und liebenswert, genauso wie sie ist”, wie der Verlag eine der zentralen Aussagen des Erstlingswerks in einer ersten Pressemeldung zusammenfasst. Sie braucht weder Diäten bis zum Erbrechen, noch irgendjemanden der ihr sagt, wie sie sein soll. Sie ist sie selbst und ist ihre eigene Persönlichkeit, mit allen Stärken und Schwächen. Eine großartige Haltung wie ich meine, die von innerer Stärke, Persönlichkeit und Reife zeigt! Wie viele Menschen nehmen eine derart selbstbewusste Haltung von sich selbst ein, ohne sich zu verstellen, sich anzupassen oder immer irgendwelchen Trends nachzueifern, die sich schon in der nächsten Sekunde überlebt haben? Ich bin ja auch eher die Kategorie “ich bin halt so wie ich bin”, aber ernsthaft, was muss das für viele Menschen an Stress bedeuten, niemals innere Ruhe finden zu können, weil die Unzufriedenheit über ihr eigenes Dasein in der Gegenwart sämtliche Lebensenergie für die Zukunft auffrisst? Die zweistelligen Wachstumsraten der Burn-out-Industrie lassen grüßen!
Es gibt viele Faktoren, warum Menschen immer weniger an Persönlichkeit haben. Die Gesellschaft, die Arbeitswelt sucht eher nach stromlinienförmigen Ja-Sagern als nach Selberdenkern, wie ich immer wieder beobachte. Idealbilder werden definiert, von wem auch immer, von den Medien, der Werbeindustrie, von der Wirtschaft selbst. Am anderen Ende der Fahnenstange gibt es dann eine große Anzahl von Empfängern, die fälschlicherweise glauben, all diesen Verheißungen und fraglichen Glückseligkeiten der Jetztzeit blindlings folgen zu müssen. Kurze Zeit später wird dann wieder die Richtung geändert, weil wieder irgendwer irgendwo einen neuen Trend erfunden oder ausgerufen hat. Was ist das alles für ein Schwachsinn, frage ich mich? Unlängst lese ich in einer ausländischen Zeitung einen Artikel über einen neuen Trend in China, der eine neue Industrie zu begründen scheint. Arbeitslose Schulabgänger und Absolventen von Universitäten gehen nahezu selbstverständlich zum Schönheitschirurgen, um sich fraglichen Idealbildern entsprechend zurecht schnippeln zu lassen, weil sie dadurch glauben bessere Chancen am Arbeitsmarkt zu haben. Der Andrang ist so groß, dass auch “Experten” diese Dienstleistungen erbringen, die eher an Baumstämmen ihr Können üben sollten, als an Menschen. Deformierte Augenlider, Nasen und Lippen sind oft die Folge dieser mangelnden fachlichen Expertise.
Die Nachjustierung an äußeren Erscheinungsmerkmalen ist die eine Dimension. Die wirkliche Tragweite, die es zu besprechen gilt, ist die Selbstbestimmtheit von Menschen. Die Anerkennung eigener Persönlichkeit, fernab irgendwelcher projizierten Ideale. Schon Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) formulierte einst, es ist “Ein großer Fehler: dass man sich mehr dünkt, als man ist, und sich weniger schätzt, als man wert ist.” Damit ist alles gesagt, oder? Nur daran denken sollten wir auch öfter mal!