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Satiretarnung

Die Frage, wie man Satiriker wird, beschäftigt mich schon längere Zeit. Heute Morgen nach Durchsicht der Zeitungen war dieses Thema plötzlich wieder für mich präsent. Es gibt kein Studium, keinen Lehrgang, keine Ausbildung, die Geschlechter aller Art zu Satirikern werden lassen! Bin ich ein Satiriker und weiß es vielleicht gar nicht? Wer gibt jemandem die Befähigung, als Ironiker aktiv zu werden? Ist das eine unsichtbare Hand, die jemanden zum Sarkasten emporsteigen lässt? Immer wieder wird Kurt Tucholsky strapaziert, dass die Satire alles darf, aber wer entscheidet darüber, was zulässig ist und was nicht? Wenn sich eine der größten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Europas, die von Steuerzahlern finanziert wird, über einen Staatspräsidenten hermacht, ihn gnadenlos diffamiert, sogar so weit geht und davon spricht, dass sich dieser Politiker sexuell an Tieren vergreift, dann soll das für die Sendungsverantwortlichen „lediglich Satire“ gewesen?! Und auch wenn dieses angebliche „Schmähgedicht“ viele mit langanhaltendem Applaus goutiert haben, wer von all diesen Menschen, inklusive des Rezipienten, möchte das über sich selbst lesen? Ich über mich jedenfalls nicht! Diese zweifelhaften Darstellungen haben aus meiner Sicht nichts mit Satire zu tun, es zeugt nur von gedanklichem Sondermüll der Extraklasse, witzlos und primitiv. In meinem Kopf habe ich die Bezeichnung Satiriker immer mit Menschen verbunden, die mit feiner Klinge auf die Schwachstellen von Systemen hinweisen, die sich durch eine Überzeichnung der Realität Gehör verschaffen. Aber es scheint, dass auch in diesem Genre die Messlatte eindeutig nach unten gelegt wurde.

Am vergangenen Wochenende wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach mehr als einem Jahr – unter dem Jubel des Establishments – aus einem türkischen Gefängnis entlassen. Mit einer Chartermaschine – ob von der Deutschen Bundesregierung oder seinem Verlag bezahlt ist nicht bekannt – wurde er noch am selben Tag in jenes Land zurückbefördert, über das er unter dem Deckmantel der Satire urteilte: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den Krieg zum Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die Dutzende Ausdrücke für das Wort ‚meckern‘ kennt, für alles Erotische sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.“ Diese angebliche sprachliche Kunstform hin oder her: Kann mir jemand erklären, warum sich die Deutsche Bundesregierung für einen „Satiriker dieser Art“ ins Zeug legt? Wird hier etwa in vollkommener Devotheit vor dem Springerverlag um Anerkennung geheischt? Nicht, dass ich an diesem Punkt falsch verstanden werde, jeder aus Willkür inhaftierte Mensch ist einer zu viel, aber da sitzen laut Medienberichten 150 andere Journallisten ebenso in türkischen Gefängnissen, was wurde eigentlich für diese Frauen und Männer getan, wer interessiert sich für sie?

Auch in Österreich wird dieser Tage viel über Satire diskutiert. Der aktuelle Vizekanzler hat ein Bild gepostet, auf dem der „Inquisitor“ des heimischen Staatsfunks mit der Headline „Es gibt einen Ort, wo Lügen zu Nachrichten werden“ zu sehen ist. Gekennzeichnet war das Posting als Satire. Von persönlicher Diffamierung sprach der stellvertretende Chefredakteur der Staatlichen Fernsehinformation, eine Klage gegen den Politiker ist die Konsequenz. Der betroffene Journalist hat übrigens den Vorvorgänger des aktuellen Vizekanzlers bei einem Beitrag mit „Django – Die Totengräber warten schon“ anmoderiert. Der mittlerweile betroffene Ex-Politiker – dessen Spitzname Django ist – war damals darüber bestürzt, hatte er doch gerade ein paar Wochen davor seine 38jährige Tochter, die einem Krebsleiden erlegen war, zu Grabe getragen. Für den Beitragsgestalter war es ein „Scherz“, eine halbherzige Entschuldigung für die „persönliche Kränkung“ ist die Folge gewesen. Leider ist es ein weit verbreiteter Wesenszug, dass jene, die so gerne austeilen, zu den größten Mimosen werden, wenn sie selbst von Ironie betroffen sind. Eines kann seit gestern schon prognostiziert werden, der aktuell von der Klage betroffene FPÖ Chef muss die Information veröffentlichen, wonach ein Verfahren nach dem Mediengesetz wegen seines Postings am Faschingsdienstag gegen ihn anhängig ist. Es wird sich in weiterer Folge wohl ein Richter finden, der das sich schon jetzt abzeichnende Urteil im Namen der Justitia sprechen wird. Bedenklich bliebe allemal, wenn die Justiz künftig Satiriker per Gerichtsbeschluss sozusagen „zertifiziert“.

Von der Sprachforscherin Ruth Wodak habe ich dieser Tage den einprägsamen Satz „Wir leben im Zeitalter der Schamlosigkeit.“ gelesen. Mich beschäftigt der bedenkliche Befund, dass es offenbar keine moralische Grenzziehung mehr nach unten gibt. In diesem kommunikativen Wettlauf sollten eigentlich die „objektiven“ Medien eine Instanz verkörpern und Vorbildwirkung im gesellschaftlichen Diskurs übernehmen. Schamlosigkeit nicht als Satire zu tarnen, wäre ein erster aber wichtiger Grundsatz für uns alle!