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Weil ihnen keiner auf´s Maul haut!

Gestern Abend war ich zum Einkauf bei Spar Gourmet in der Wiener Josefstädter Straße, ein für mich praktisches Kaufhaus, da es unweit von meiner Wohnung entfernt ist.  Bevor der Supermarkt umgebaut wurde und dem Einheitsdesign aller Sparmärkte zum Opfer fiel, zierten dort immer zwei Fotografien die sonst kühle Atmosphäre neben der Fleisch- und Wurstvitrine. Zum einem gab es ein signiertes Portrait von Maximilan Schell, zum anderen ein Foto unseres Bundespräsidenten mit seiner Frau, der hier öfter mal zum Einkauf vorbeikommt, da seine Wohnung einen Steinwurf vom Geschäft entfernt liegt. Es ist kurz vor 19.00 Uhr, viele Menschen sind auf dem Weg von der Arbeit nach Hause und tätigen noch einen Kauf, dementsprechend groß ist das Gedränge zwischen den Regalen. Frauen und Männer mit Einkaufswägen oder Körben tummeln sich umher, kaum einer nimmt vom anderen Notiz. Alle, inklusive mir, möchten nur schnell den Erwerb von Lebensmitteln hinter sich bringen, so würde vermutlich ein außenstehender Beobachter das Geschehen beschreiben.

Bei der Kassa angelangt, warten einige Menschen in der Schlange, um bezahlen zu können. Unmittelbar vor mir steht eine junge Dame, die nur ein Glas eingelegter Garnelen in der Hand hält. Sie legt das Gefäß auf das Band, die Kassiererin scannt es ein, der Preis erscheint am Display der Kasse. Die im Ethno-Look gekleidete Frau nimmt einen Beutel aus ihrer Tasche, um eine Unmenge von Cent-Stücken auszuleeren. Vor der verdutzten Kassiererin liegt plötzlich ein richtiger Haufen Geld, während hinter mir die Warteschlange immer größer wird. Die übergewichtige Blondine erklärte darauf hin, dass alle diese 1 und 2 Cent-Stücke genau so Geld seien, während sie in der rechten Hand demonstrativ einen 100 Euro Schein hält. Die Aktion war vollkommen daneben, aber interessant zu beobachten, da es der vermutlichen Studentin vollkommen egal war, dass die Spar-Mitarbeiterin minutenlang zum Zählen der Münzen benötigte, während immer mehr Menschen auf die Bezahlung warteten. Die Mittzwanzigerin blickte einfach starr in die Gegend, wartete bis die Rechnung beglichen war, um dann grußlos das Geschäft zu verlassen.

Kommt es nur mir so vor, aber in meiner Beobachtung werden die Umgangsformen immer schlechter. Fast täglich begegnet man irgendwo Menschen, die alles haben, nur kein Mindestmaß an Manieren, oder nur dann welche erkennen lassen, wenn sie unmittelbar etwas benötigen. Dann legen sie plötzlich anlassbezogen jene Verhaltensformen an den Tag, die ihnen sonst eher fremd zu sein scheinen. Letzte Woche stehe ich am Bahnhof in Bozen, frage höflich einen Mann nach dem richtigen Bahnsteig, er antwortet mir, dass er kein Auskunftsbüro sei, um dabei schallend zu lachen. Vorige Woche schreibe ich zum wiederholten Male einer Managerin, einer Frau, die unter anderem darüber entscheidet, wer in dem von ihr geleiteten Konzern arbeitet. Eine Antwort auf meine Mail gibt es bis heute nicht. Letzten Montag sitze ich in Berlin bei einem Termin. Mein Gesprächspartner versichert mir, dass ich ihm vertrauensvoll Unterlagen für ein gemeinsames Projekt übermitteln könnte, was ich auch tat. Seit die Unterlagen bei ihm sind, habe ich nichts mehr gehört. Eine Partei wirbt in Österreich gerade mit dem Thema „Werte“. Im Jänner habe ich einem ihrer Spitzenrepräsentanten ein entsprechendes Konzept auf seinen Wunsch hin übermittelt, unzählige Versuche, ein weiteres Gespräch zu führen, waren nicht möglich. Vier Monate später taucht dann meine Idee, wenn auch schlecht umgesetzt, in der Öffentlichkeit auf. Wie das passieren konnte, weiß angeblich niemand…

Jeden Tag könnte man unzählige solcher Erlebnisse niederschreiben, wo Leute nicht mal die Grundregeln wie Bitte und Danke, wie Guten Tag und Auf Wiedersehen beherrschen. In der *Frankfurter Rundschau von gestern habe ich einen Artikel der in Polen geborenen Publizistin Bascha Mika gelesen. Sie titelte ihren Beitrag mit “Klaus Kinski hatte recht”, um ihn im Untertitel mit „Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil ihnen keiner auf´s Maul haut.“ zu zitieren. Sie beschreibt in ihrer Geschichte einige Alltagserlebnisse, die ihr in den letzten Tagen und Wochen passiert sind um dann zu schlussfolgern “Ich finde rücksichtsloses Verhalten nicht schlimm, wirklich nicht. Ich finde es einfach nur zum Kotzen.” Dem möchte ich nichts mehr hinzufügen!

* http://www.fr-.de/meinung/umgangsformen