Vom unzumutbaren Erfolg sinnentleerter Politik.
Seit einigen Tagen bin ich gesundheitlich angeschlagen. Die permanenten Klimaanlagen in Flugzeugen, Zügen und Besprechungsräumen setzen mir in letzter Zeit öfter zu als mir lieb ist. Ich sollte mir altersbedingt einen Job im Innendienst suchen, denke ich mir. Mein Hals schmerzt, meine Stimme klingt wie zwei aneinander reibende Eisenflächen, die nicht geölt wurden, meine Nase tropft. Dieser wenig erbauliche körperliche Zustand hat bedingt, dass ich gestern auf die Teilnahme an einem Geburtstagsfest einer wirklich lieben Freundin verzichten musste. Das hat wiederum dazu geführt, dass ich mir nach einer kurzen, frühabendlichen Phase der Selbstbemitleidung die ZIB 2 angesehen habe, um den Auftritt von Karl-Heinz Grasser zu verfolgen. Vielleicht mache ich mich jetzt nicht beliebt, aber in welcher Form die Berichterstattung und die Interviewführung erfolgte, das hat rein gar nichts mit objektivem und der Sorgfalt verpflichtetem Journalismus – des mit hunderten Millionen subventionierten Staatssenders – zu tun. Oft frage ich mich, warum sich Gesprächspartner von ZIB 2 diesen Befragungsstil von Oberinquisitor Armin Wolf nach dem Motto “Den mach ich heut zur Sau” gefallen lassen. Ich würde einfach aufstehen und gehen, wenn Wortwechsel nur mehr als Bühne für den Interviewer mit vorgefasster Meinung dienen und den Befragten zum Statisten für die eigene Profilierungssucht degradieren.
Einen ganz anderen Beitrag in Sachen Gesprächsführung habe ich dann zu späterer Stunde auf 3sat gesehen. Nicht erstmalig verfolgte ich die Dokumentation des Prozesses gegen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Unter dem Titel “Ein Spezialist – Die Banalität des Bösen” wurde hier ein unglaubliches zeithistorisches Dokument geschaffen. Das in Jerum abgehandelte Verfahren (1961-1962) ist übrigens die einzige Strafuntersuchung gegen einen Kriegs- und Naziverbrecher, das in voller Länge auf Film aufgezeichnet wurde. 1998, rund 35 Jahre später, schuf der israelische Filmemacher Eyal Sivan aus den Originalaufnahmen ein einzigartiges Zeugnis von einem ideologisch vollkommen fehlgeleiteten Wesen, das nicht müde wurde, während dem Verfahren zu betonen, dass er “nur Organisator” der Massendeportationen gewesen sei. Dadurch wurden Millionen von Menschen, jüdische Mitbürger, vergast, erschossen und erhängt. “Ich finde das alles bedauerlich, aber mich trifft keine Schuld”, so lautet die immer wiederkehrende Floskel des Nazi-Schergen in dem mit dem renommierten Adolf-Grimme-Preis ausgezeichneten Film. Was für eine Abscheulichkeit des Denkens kommt da zum Ausdruck, Wesenszüge eines Mannes, der im Gerichtssaal wie ein biederer Beamter wirkt und dessen Leben mit der Hinrichtung am 31. Mai 1962 in Ramla bei Tel Aviv sein Ende gefunden hat.
Man kann nicht oft genug auf dieses Unrechtssystem hinweisen, das Millionen von Menschen die Würde genommen und das Leben gekostet hat. Der Populismus war Grundlage dieser verachtenden politischen Haltung. Diese um „Nähe zum Volk“ bemühte Politik instrumentalisiert die Unzufriedenheit und Ängste, indem sie Gefühle anspricht und einfache Lösungen anbietet. Meine eingangs formulierte Kritik an Armin Wolf bedeutet nicht, dass ich mich damit auf die Seite von Karl-Heinz Grasser stelle. Ganz und gar nicht! Typen wie KHG wurden in der Politik nach oben gespült, weil die Politik der Vereinfachung seines Erfinders Jörg Haider in der Alpenrepublik salon- und mehrheitsfähig wurde. Aber als Moderator muss man die sensible Gratwanderung zwischen professioneller Objektivität und billigem Popoulismus verinnerlicht haben. Die Wahlergebnisse vom letzten Wochenende zeigen, dass die politische Hochstapelei im Sinne von Simplifizierung gesellschaftlicher Realitäten nicht an politischen Lagern festgemacht werden kann. In Frankreich zog François Hollande durchs Land und verkündet das Ende der Sparsamkeit, in Griechenland taten es ihm linke und rechte Extremisten gleich. In der unter steuerlichen Belastungspaketen leidenden Bevölkerung finden derlei Forderungen selbstverständlich großen Anklang!
Und die Piratenpartei in Deutschland, die weder zur Nazi-Ideologie noch zur Kinderpornographie die richtige Distanz gefunden hat, ist ohnedies gegen alles und für nichts und landet damit einen Erfolg nach dem anderen, “weil es die etablierten Poltiker auch nicht besser können.” Der neue Vorsitzende der Piraten, Bernd Schlömer (übrigens Beamter von Beruf), sagte im Interview mit „Spiegel „: „Ich muss mich schützend vor die Mitglieder stellen. Wenn sich jemand unbedacht äußert, muss ich sagen: Das ist ein Pirat und der gehört dazu.“ Nach diesem Prinzip funktionieren auch Burschenschaften, Kegelklubs und mafiose Organisationen. Erst kommt die Truppe, dann die Moral, wie Henryk M. Broder in *“Die Welt” vom Dienstag festhielt. Um dann weiter zu schlussfolgern: “Man muss nichts mehr können, es reicht, dass man davon überzeugt ist, man hätte das Zeug – zum Künstler, zum Politiker, zum Selbstdarsteller.” Der Frankfurter Journalist Thomas Rietzschel glaubt, dass der Dilettantismus sich „zum Grundzug einer Spaßgesellschaft entwickelt“ hat, in der vor allem „die perfektionierte Darstellung des Sinnlosen bejubelt“ wird. Es sollte uns allen zu denken geben, dass Leute, die sich sonst in sinnlosen Castingshows bewerben, nun die Politik als Spielwiese entdeckt haben und in den Parlamenten angekommen sind!
* http://www.welt.de/debatte/