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Vamos, Argentina!

Man muss es neidlos anerkennen: Ist dieses junge, spritzige Team, das Joachim Löw da präsentiert, nicht gelebte Globalisierung! Die neuen Stars der Deutschen heißen Özil, Müller, Boateng, Khedira und keinen interessiert die Herkunft oder nationale Identität. So muss Fußball heute funktionieren. Was für mich bei dieser WM so deutlich wird: Dieses große Fußballfest lässt die Welt schrumpfen. Jeder wird Teil einer globalen Begeisterung. Die Welt wir zu einer einzigen Fanmeile. Welches Ereignis schafft so etwas sonst noch?

Aber Deutschland hin oder her: Ich hoffe, der Fußballgott schaut auf seine irdischen Abgesandten. Die Argentinier, meine ich natürlich. Das Viertelfinale am kommenden Samstag wird sicher kein Honiglecken, aber ich glaube fest an El Diego und seine Truppe. Ich habe es an dieser Stelle schon einmal erwähnt und muss mich wiederholen: Mein Herz schlägt für Maradona. Wie er da an der Seitenlinie herumtänzelt, wie er völlig außer sich mit den Schiedsrichtern diskutiert, wie er seine Spieler herzt. Der Mann ist einfach fleischgewordene Emotion, Leidenschaft, Liebe zum Fußball. Dass dieser Mann in seiner Heimat gottgleichen Status genießt, liegt wohl vor allem daran, dass er den Traum abertausender junger Männer verwirklicht hat. Denn da wo er herkommt, ist Fußball mehr als ein Sport. Fußball ist für viele Rettungsring, einzige Hoffnung, der Traum von einem besseren Leben. Aufgewachsen in Villa Fiorito, einem Armenviertel von Buenos Aires schaffte er es zum internationalen Topspieler, zum absoluten Idol. Die vielen Rückschläge machten ihn auf diesem Weg nur stärker. Offenbar ist es doch so, dass diejenigen den größten „Biss“ haben, die auf den ungepflasterten Straßen einer Favela oder in den Gitterkäfigen der tristen Vororte ihre ersten Bälle kicken. In Brasilien müssen sich die Nachwuchskicker in  harten Auswahlverfahren, so genannten „peneira“, durchsetzen, bevor sie bei einem der großen Klubs landen. Hunderte Buben reisen aus dem ganzen Land zu diesen Tests an und die ganze Familie fiebert mit. Man denke nur an Cafu, Ex-Star bei AS Roma und AC Milan, er musste 14 solcher „peneiras“ überstehen, ehe er einen Vertrag bekam.

Auch ein Zidane ist groß geworden auf einem Platz zwischen grauen Plattenbauten in Marseille, ein Pelé, ein Ribéry und ein Rooney lernten auf der Straße Fußball spielen. Und bitte nicht zu vergessen: Unser Schneckerl Prohaska schaffte es mit Talent und Hartnäckigkeit aus der Simmeringer Hasenleitengasse ins Mailänder San Siro-Stadion. Diese Leute ringen mir einfach Respekt ab. Zweifellos haben es solche Senkrechtstarter heute schwerer kühlen Kopf zu bewahren und das wesentliche im Auge zu behalten, schon allein der Gagen wegen. Früher einmal galt die These, ein Fußballer muss es nicht im Kopf, sondern in den Beinen haben. Mit solch einer Einstellung verglühen heutzutage Jungstars, die von heute auf morgen vom Plattenbau in die Villa am Stadtrand ziehen, die sich über ein dickes Konto, schöne Frauen und ein großes Auto definieren und es doch nicht schaffen, eine klare Linie in ihrem Leben zu sehen. Jüngstes Beispiel Kevin Boateng, Fußball-Ausnahmetalent und Ghetto-Kid aus dem Berliner Problemviertel Wedding, der seine juvenilen Aggressionen offenbar nicht im Griff hatte und mit einem brutalen Foul Michael Ballack aus der WM katapultierte. Aus Trotz spielte er bei der WM für Ghana. Was beweist: Zu gutem Fußball gehört vor allem gute Führung. Ein Maradona und ein Löw zeigen das beide auf ihre Art: Wem das besser gelingt, werden wir am Samstag sehen. In jedem Fall: Vamos Argentina!