Überzeugungspraktiker
Gut gekannt hatte ich Dietmar Schönherr nicht, aber es gab ein paar Begegnungen im Lauf der Jahre mit dieser großen Persönlichkeit, die mir sehr gut in Erinnerung geblieben sind. Ob bei einigen Lesungen, bei einem Mittagessen in den südsteirischen Weinbergen oder bei seiner privaten Geburtstagsfeier zu seinem 80iger im mittelamerikanischen Granada, dieser Mann hatte einen Auftrag! Er wollte ”millimeterweise die Welt verändern”, wie es einmal die “Kölnische Rundschau” in einem Interview mit dem leider in der Nacht von gestern auf heute auf der spanischen Insel Ibiza verstorbenen Schauspieler auf den Punkt brachte. Ich kenne doch einige Menschen, die man als prominent bezeichnet: Künstler, Sportler, Wissenschafter, Politiker, Leute aus der Wirtschaft, weiß Gott wen alles noch. Aber wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich ihm spontan eine Charaktergestalt nennen kann, die nicht nur ein Gesinnungstheoretiker ist, sondern auch Überzeugungspraktiker, dann wäre mir der 1926 in Innsbruck geborene Künstler an vorderster Stelle eingefallen. 88 Jahre wurde jener Mann, der in über 100 Kinofilmen mitwirkte, der Hunderte von Fernsehproduktionen realisierte, der auf unzähligen Theaterbühnen stand und der sich daneben als Synchronsprecher, Schriftsteller und Regisseur einen Namen machte. Mit “Je später der Abend” moderierte er übrigens “ab 1973 die erste Talkshow des deutschen Fernsehens. Im Gegensatz zu manch anderen Sendungen dieses Fernsehformats von heute versuchte er, seine Gäste auf spannende Weise, aber stets respektvoll zu befragen.” Eine menschliche Tugend, die gegenwärtig vielerorts vergebens gesucht wird.
Aus seiner politischen Haltung machte er nie einen Hehl und tat seine Meinung unverblümt und unmissverständlich kund. Wie beispielsweise im November 1981 in der Schweizer Talkshow „Rendez-vous“, als er den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan als „Arschloch“ bezeichnete, “da dieser die Massaker der Contras an der nicaraguanischen Zivilbevölkerung finanzierte und sie als Freiheitskämpfer bezeichnete”. Klare Worte eines Kämpfers für eine bessere Welt, die ihm damals eine Entlassung durch den Sender einbrachten. Diese Episode ist deshalb erzählenswert, da er nicht nur rhetorische Standpunkte mit aller Klarheit einnahm, sondern vielfach praktisches Handeln folgen ließ. Ebendort in Nicaragua, “in dem mittelamerikanischen Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, baute er gemeinsam mit dem Dichter Ernesto Cardenal in der Stadt Granada die Casa de los Tres Mundos auf, ein Kulturzentrum für Kinder und Jugendliche”. Als ich erstmalig dieses Projekt in Natura gesehen hatte, konnte ich nicht glauben, was da von privater Initiative aus bewirkt wird. Junge Menschen, meist ohne Dach über dem Kopf und ohne Chancen auf ein würdiges Leben, erhalten dort eine neue Perspektive auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Über die Vermittlung kultureller Kompetenzen (Zeichnen, Schreiben, Formen, Malen, Musizieren) eröffnet sich ihnen der Zugang zu Bildung und einem damit verbundenen selbstbestimmten Dasein. Selten zuvor habe ich so viele strahlende Kinderaugen auf einem Fleck gesehen. Eine Form der Begeisterung, die ich auch beim Besuch des von ihm nach dem Hurrican „Mitch“ initiierten Dorfentwicklungsprojektes Malacatoya auf Schritt und Tritt erfahren habe. Über den Spenderverein Pan y Arte e.V. (wörtlich: Brot und Kunst) werden diese Kultur- und Entwicklungsprojekte maßgeblich finanziert, wo Dietmar Schönherr bis 2006 den Vorstandsvorsitz innehatte. In seinem autobiografischen Roman „Sternloser Himmel“ hat er uns eine Botschaft hinterlassen „Sei ein Lachs – schwimm gegen den Strom!“ Auf die Frage eines Reporters “Warum haben Sie sich 1985 in Nicaragua für ein Land in grausamem Bürgerkrieg engagiert?” antwortete der einstige Hauptdarsteller von “Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion” wo er den Major Cliff Allister verkörperte, mit “Ich wollte etwas Handfestes tun, nicht nur den Lügenberuf des Schauspielers ausüben.” Die Maske des Alltags abzustreifen ist das wahrlich große und bleibende Vermächtnis „eines Träumers, der die Welt verbessern wollte“.