Tischlein deck dich!
Eine Studie über das Essverhalten der Franzosen hat mich bei der Lektüre der Zeitung beschäftigt. Auch in der “Stadt der Liebe” und rundherum scheint allmählich das Fast Food das Slow Food zu verdrängen. Nicht auszudenken, wenn sich die vom staatlichen Institut für Ernährungsforschung in Frankreich durchgeführte Studie bewahrheitet. Bedeutet das das Ende der französischen Genusskultur? Unvorstellbar! Beim Blättern der Zeitung von hinten nach vorne werde ich der Brutalität des Alltags immer näher gebracht, das schafft zwar Abstand von den kulinarischen Problemen Frankreichs, lässt mich aber ebenso wenig erbaulich in der Ukraine landen. Vermutlich verstehe ich von internationaler Politik zu wenig, aber ich finde den anhaltenden Konflikt in der Ukraine in der Diskussion schon sehr einseitig geführt. Aus der Sicht des Westens scheint ohnedies nur das reflexartige Putin-Bashing zulässig zu sein. Eine paar berechtige Fragen könnten bei objektiver Betrachtung der Gesamtsituation schon gestellt werden, insbesondere an die amerikanischen Moralwächter für Sitte und Anstand auf dieser Welt, die das Völkerrecht sonst behandeln wie einen Kettenhund: losgelassen wird er immer nur auf die anderen! Das Selbstverständnis Amerikas von der Ordnung der Welt könnte mit einem Zitat des französischen Schriftstellers und bedeutenden Gastrosophen Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755 – 1826) auf den Punkt gebracht werden: „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“ Alles klar, oder? Zugegeben, das klingt jetzt ein wenig sehr populistisch und wenn der NSA diesen Text entdeckt, dann brauche ich ohnedies keinen Einreiseantrag mehr für die USA zu stellen, aber mit diesem tendenziösen Krisenmanagement, wo es nur einen Bösen und sonst lauter Gute gibt, wird sich der Konflikt auf der im nördlichen Schwarzen Meer gelagerten “Halbinsel Krim” nicht lösen lassen.
“Wenn ich erregt bin, gibt es nur ein Mittel, mich völlig zu beruhigen: Essen”, das wusste schon Oscar Wilde (1854 – 1900) zu berichten. Sie merken, dass ich gedanklich noch immer an der “Seine” entlangschweife. Aber vielleicht wäre dieser banale Ratschlag des irischen Lyrikers eine gute Formel, um die Gemüter aller Staatschefs und sonstiger am Konflikt in der Ukraine beteiligten Repräsentanten ein wenig zu entspannen. Man stelle sich vor, wenn die Damen und Herren, die auf Namen wie Merkel, Putin, Obama, Klitschko oder Timoschenko hören, gefordert sind, ein essbares Gericht zu fertigen, in gemeinschaftlicher Arbeit! Der amerikanische Staatschef schält die Kartoffeln und putzt das Gemüse, der russische Präsident bereitet den zuvor selbst gefangenen Fisch fachkundig zu, und die deutsche Bundeskanzlerin reicht zum Apéritif hoffentlich nicht den ihr aus ihrer Jugend vertrauten Rotkäppchen Sekt mit Spreewälder Gurken, sondern serviert französischen Champagner mit russischem Kaviar – während der ehemalige Boxweltmeister und nunmehrige Politiker an der Tischdekoration bastelt und sich seine Kontrahentin bei der ausgerufenen Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 25. Mai dieses Jahres an einer Nachspeise versucht. Andere Regierungschefs, wie Österreichs politische Speerspitze, Werner Faymann, könnten kleine Handreichungen anbieten oder den Abfall umweltverträglich entsorgen. Frankreichs Staatschef François Hollande sollte mit dem Mandat ausgestattet werden, sich um ein geeignetes Rahmenprogramm zu einer anhaltenden Entspannungspolitik zu kümmern. In Sachen persönlichen Entkrampfung hat er ja in letzter Zeit mehr Hingabe bewiesen, als bei der Lösung wirtschaftlicher und sozialer Fragen der Grande Nation. Liegt da nicht viel Potenzial über und unter den Töpfen und Pfannen dieser Welt?
Ich plädiere jetzt nicht für die Einführung von Kochshows zur Lösung potenzieller Krisenherde rund um den Globus. Aber wenn ich mir die Debatte vergegenwärtige, würde ich einigen Playern schon eine Phase des Innehaltens und Nachdenkens und der Wiederentdeckung von Genüssen empfehlen. Sind es nicht die Pausen des Lebens, die nicht nur dem “Pöbel”, sondern all den genannten und ungenannten Politikern manchmal gut tun könnten? Wäre es nicht sinnvoller, öfters einfach auf den anderen zuzugehen, sich fernab des Protokolls zu verständigen und zu spüren, dass man Mensch ist? Der Inhaber einer Pariser Brasserie hat in der eingangs erwähnten Zeitung in einem Interview den zunehmenden Niedergang der zwischenmenschlichen Kultur beklagt. Er gab sinngemäß zu Protokoll “Früher gab es genug Anlässe, die den Menschen mit Menschen zusammengeführt haben. Heute werden wir alle auseinanderdividiert.” Wo hat die Globalisierung die Einheit der Menschen, das Miteinander gestärkt? Wo sind Spannungen zwischen Ländern und Rassen abgebaut worden? Habe nur ich den Eindruck, dass die Konflikte zunehmen statt abnehmen? Beobachte nur ich, dass die Spannungen in der Gesellschaft steigen? Geduld und Zurücknahme, gepaart mit ein wenig Demut wären vielleicht eine geeignete Rezeptur, damit einige Staatschefs begreifen, dass die Verschiebung von Grenzziehungen noch keine kulturellen Probleme gelöst hat. Oder um es in den Worten des deutschen Schriftstellers Peter Maiwald (1946- 2008) auf den Punkt zu bringen: “Das mit der Faust auf den Tisch schlagen nimmt ab, wenn er gedeckt ist.” Ein Ratschlag, der aus meiner Sicht überprüfenswert erscheint.