Testbild in Wanne Eickel
Besonders aufmerksame Verfolger meiner kleinen Internetkolumne werden sich vielleicht erinnern, dass mich vor einiger Zeit eine Sportverletzung zwang, ein wenig kürzer bzw. gar nicht (auf)zu treten. Während ich ob des Liegegipses dazu verdonnert war, einige Tage in der horizontalen zuzubringen, erlag ich der Versuchung die Geheimnisse des Privatfernsehens zu ergründen. Ich sage Ihnen: Wer nie zwischen 10 und 17 Uhr das Programm auf RTL verfolgt hat, der hat keine Ahnung von den Niederungen des Lebens.
Schon am Vormittag darf man Zeuge werden, wie sich Jochen und Silke aus Wanne Eickel im Zuge der Gestaltung ihrer „ersten gemeinsamen Wohnung“ – so auch der Name des Formats – bei der Wahl der Wandfarben in die Haare bekommen. Das junge Glück wird dabei in der Farb- und Lackabteilung bei Obi auf eine harte Probe gestellt. Aber Sie können aufatmen, werte Leserinnen und Leser: Letztendlich fielen sich die beiden zu den sanften Klängen einer Take That-Ballade im zu guter Letzt Mango farbenen Schlafzimmer liebestrunken in die Arme.
In der Reihe „Mitten im Leben“ werden nette kleine Geschichtchen erzählt, wie sie auch Ihnen und mir tagtäglich zustoßen können. So hat die 19-jährige Jennifer nur einen Herzenswunsch: Eine Brustverkleinerung. Hänseleien und Mobbing durch Mitschüler haben das Mädchen zu dieser kühnen Vision bewogen. Die Dringlichkeit des Anliegens unterstreicht der Sender durch nicht enden wollende Close Ups auf den Status Quo betreffender Körperteile. Natürlich regt sich da auch bei mir Mitleid mit der jungen Frau, aber muss man derlei Material wirklich kurz vor dem Mittagessen ausstrahlen?
Bemerkenswert finde ich schließlich das RTL Mittagsjournal “Punkt 12“. Mit einer Nonchalance, über die Wrabetz und Co staunen würden, werden hier im Telegrammstil Meldungen unterschiedlichster Genres zusammengewürfelt. Zwischen zwei Berichten über die Toten bei der Loveparade in Duisburg und die auf Abwegen wandelnde Gattin von Lotthar Matthäus lässt sich da locker noch ein Gewinnspiel einschieben. Der Preis, wie könnte es anders sein: Ein Plasma-Fernseher im XXL-Format. Dazwischen poppt ein Werbefenster für den neuen Crusty Chicken Burger auf. Volksverdummender Trash powered by McDonald´s. I´m loving it. Das ganze als Nachrichten zu betiteln, wäre wohl zu hoch gegriffen. „Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie.“ postulierte der amerikanische Medientheoretiker Neil Postman schon in den achtziger Jahren in seinem Werk „Wir amüsieren uns zu Tode“ und man kann ihm nur recht geben.
4 Stunden am Tag. So lange sieht der Mitteleuropäer im Durchschnitt täglich fern. Als ich diese Zahl vor kurzem in der Zeitung las, konnte ich es erst nicht glauben. Rechnen wir mal 8 Stunden für Schlafen, 8 Stunden für Arbeiten, 1 Stunde für den Weg von und zur Arbeit, 1 Stunde für Nahrungsaufnahme und -abgabe, 1 Stunde für die elementare Körperpflege. Es verbleiben: 5 Stunden. Moment mal: Das würde ja bedeuten, der Mitteleuropäer verbringt 80% seiner Freizeit vor dem TV-Gerät. Das bedeutet: 1 Stunde am Tag zum Leben. Irgendwie beängstigend.
Vor kurzem habe ich einen interessanten Satz gelesen: Soziale Rücksichtnahme wird durch Vulgärprogramme kaputtgesendet. Eine bange Vision, die aber leider immer wahrscheinlicher wird, wenn ich sehe, wie zur besten Prime Time selbsternannte Drill Seargents übergewichtige Menschen in Abnehmcamps demütigen, wie unterbelichtete B-Promis bildhübschen Mädchen attestieren, Sie hätten kein Potential, wenn Lebenscoaches uns erklären wollen, wie wir zu essen, wohnen und unsere Kinder zu erziehen haben.
„Das Fernsehen ist dabei, unsere Kultur in eine riesige Arena für das Showbusiness zu verwandeln. Religion, Politik, Wirtschaft – alles muss unterhaltend sein. Aber natürlich unter dem Deckmantel der Information. Unwissenheit lässt sich allemal beheben. Aber was sollen wir tun, wenn wir die Unwissenheit für Wissen halten?“ fragte Postman da zurecht. Ja was? Uns der Diktatur der Quote bewusst sein? Unseren Kindern schon im Windelalter auf Teufel komm raus Medienkompetenz vermitteln? Oder die Kiste ganz einfach rausschmeißen?
1978, in einer Zeit, in der Hans Rosenthal noch seine Luftsprünge vollführte, in der unsere Fernsehwelt aus FS1 und FS2 bestand und wir ab und an bei der Bundeshymne aufwachten, in einer Zeit also, als die Medienwelt im Vergleich zu heute noch in Ordnung war, forderte der von mir sehr verehrte Helmut Schmidt bereits einen fernsehfreien Tag pro Woche. Vielleicht würde eine solche Zwangsmaßnahme auch heute bei manchem den Blick klären, auf den Schrott, dem er/sie da tagtäglich Eingang in seine Gedankenwelt gestattet. Denn mit Verlaub: Einem solchem Programm ziehe ich das gute alte Testbild allemal vor.