Signalwirkung!
Vor einigen Monaten bin ich zu Gast im Salzburger Nachtstudio von Ö1 gewesen. Interessanterweise hatte die Sendung ein freier Journalist aus Köln gestaltet, der das Thema „Scheitern“ für sich und nach seiner ausgiebigen Recherche auch mich entdeckt hatte. Ich bin einer der Gesprächspartner in einer sehr interessanten Sendung zu den großen und kleinen Niederlagen des Lebens gewesen und der zentralen Fragestellung des Radio-Features, wie man nach Bruchlandungen, die fast alle Lebensbiografien mit sich bringen, den meist mühevollen Weg wiederum nach oben schafft. Unmittelbar nach der Sendung schrieb mir um 0.11 Uhr des darauffolgenden Tages der mir damals unbekannte Andreas Maislinger eine Mail, die folgenden Betreff hatte: „Gerhard Scheucher, Wien: Was würden Sie mit dem leerstehenden Hitler-Geburtshaus machen?“ Zugegebenermaßen ist das ja nicht eine unmittelbare Reaktion, die man sich auf den Inhalt der eingangs beschriebenen Sendung erwarten würde, sind doch jene Leute, die mich um diese Tageszeit kontaktieren, meist in einer wirklichen Schieflage des Lebens.
Aber zurück zur Fragestellung, die mir der Politologe Andreas Maislinger gestellt hatte. Was würden Sie mit dem leerstehenden Hitler-Geburtshaus im oberösterreichischen Braunau tun, welcher Verwendung würden Sie dieses Objekt zuführen? Dem Abriss freigeben, wie es ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka dieser Tage forderte? Und der für diese Forderung interessanterweise Unterstützung vom Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands, Gerhard Baumgartner, bekommt: „Der Platz, auf dem das Haus steht, solle völlig entpolitisiert werden, es solle beispielsweise ein Supermarkt an der Stelle gebaut werden,“ so Baumgartner im Ö1-Morgenjournal. Vielleicht sollte dort gleich jene amerikanische Fast-Food-Kette einziehen, in deren Firmenfarben ein saftiges Braun dominiert, könnte zynisch angemerkt werden. Aber auch die Regierungsspitze ist geteilter Meinung, während unser HBK Kern praktische Bedenken hat, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht (Politik mit neuem Stil?), befindet sein Vizekanzler und ÖVP-Chef, „dass ein Projekt mit pädagogischem Wert, etwa ein Museum, umgesetzt werden sollte“.
Seit mehr als 16 Jahren „kämpft“ der Initiator Braunauer Zeitgeschichte-Tage, Andreas Maislinger, darum, Hitlers Geburtshaus in ein „Haus der Verantwortung“ umzuwandeln. Die Grundidee unterscheidet sich von einem reinen Museum darin, dass die Gegenwart (wie wir gemeinsam an einer friedlicheren Welt arbeiten können) und die Zukunft (die wir besser gestalten wollen) aktiv einbezogen werden sollen. Mehr als 4.000 Unterstützer konnten bislang für diesen inhaltlichen Zugang gewonnen werden! Das mittlerweile 5 Jahre leerstehende Geburtshaus des größten Massenmörders der Geschichte soll nun per Beschluss der Republik enteignet werden. Was sicher droht, ist eine typisch österreichische Diskussion, die Jahre und vielleicht Generationen an Politikern verschlingen wird, um die Frage zu klären, welcher Verwendung Braunaus braunstes Haus zugeführt werden soll. Die Politik hätte ohne wenn und aber eine großartige Chance, ein klares und unverrückbares Statement gegen das dunkelste Kapitel unser Geschichte zu setzen!
Ich frage mich schon, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, ein Haus wie Hitlers-Geburtshaus dem Erdboden gleich zu machen? Glaubt denn wirklich jemand, wenn man die grausamste aller Vergangenheiten mit all ihrer Verantwortung mit einer Schubraupe planiert, dass es diese dann nicht mehr gibt? Mich überrascht dieses Politikverständnis nicht. Es erinnert doch sehr stark an das Handeln der Eliten in der Gegenwart, in der man glaubt, wenn Probleme nicht besprochen werden, solche auch nicht vorhanden sind und annimmt, dass durch Schönreden der Gegenwart von alleine eine bessere Zukunft entsteht. Überall in Europa – um einen aktuellen Bezug zu schaffen – können wir sehen, wohin dieser politische Denkansatz führt, von der Flüchtlingspolitik bis zur Sozialpolitik. Die Gesellschaft driftet immer weiter auseinander, sie verliert zusehends den Halt, oder anders formuliert, den Boden unter den Füßen! Die Wahlergebnisse in vielen Ländern spiegeln die Gefühlslage vieler Menschen wider, die resigniert haben und die schweigend ihre Stimme jenen Kräften geben, die auch keine Lösung haben, die aber deren Sprache sprechen! Kommt Ihnen das historisch betrachtet bekannt vor? Die Politik findet immer mehr entkoppelt in einer virtuellen Welt statt, die mit der Realität zusehends weniger zu tun hat. Ganz im Gegenteil, Frauen und Männer, Junge und Alte merken Tag für Tag, dass das, was ihnen von Politik und Medien erzählt wird, im Hier und Jetzt nicht stattfindet. Sie fühlen sich schlicht und einfach verarscht! „Sie mögen es nicht, zu Fremdenfeinden, Nationalisten und Rassisten erklärt zu werden, weil sie nicht den Kopf hinhalten wollen für eine völlig aus dem Ruder gelaufene Einwanderungs- und Verteilungspolitik“. Wie wäre es damit, wenn die Politik endlich Verantwortung wahrnehmen und den Menschen Wahrheiten – auch unbequeme – zumuten würde. Das Schönreden und die Ignoranz der Lebensrealitäten weiter Teile der Bevölkerung lässt bei jeder Wahl genau jene, die wir angeblich nicht wollen, noch stärker werden. Ein „Haus der Verantwortung“ würde zwar nicht die Probleme der Gegenwart unmittelbar lösen, wäre aber ein starkes und richtiges Signal, dass die höchsten Repräsentanten des Staates aus der Vergangenheit gelernt haben und klüger geworden sind für ein andermal!