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Poesie des Lebens

Gestern bin ich in den Weiten des Internet auf ein Zitat gestoßen, das mich heute noch immer beschäftigt. Der Dalai Lama wurde gefragt, was ihn am meisten überrascht; er sagte: „Der Mensch, denn er opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wieder zu erlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt; das Resultat ist, dass er nicht in der Gegenwart lebt; er lebt, als würde er nie sterben, und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.“ Der mit diesen Worten beschriebene Lebenszyklus eines Menschen ist mir nur allzu vertraut. Wenn ich eingeladen werde über das Thema „Scheitern” zu sprechen, erzählen mir Frauen und Männer, Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen, dass sie aus Angst vor dem Versagen Handlungen unterlassen, Träume nicht leben.

Im Klappentext eines meiner Bücher habe ich folgende Gedanken niedergeschrieben, die nichts an Gültigkeit verloren haben, wenn ich an das eingangs wiedergegebene Zitat denke. „Jeder von uns kennt die Situation: irgendwann sitzt man in einer Runde zusammen und erzählt seinen Freunden, seinen Bekannten oder seinen Angehörigen von all den großen Ideen, von den angestrebten und (noch) nicht verwirklichten Zielen für das Leben. Zugegebenermaßen, wenn Sie das tun, dann haben Sie vermutlich schon eine gewisse Stufe der Lebenserfahrung erreicht. Aber Hand aufs Herz, wie oft hören Sie sich selbst in einem inneren Dialog über visionäre Vorhaben oder gar Träume philosophieren, die Sie niemals in Angriff genommen haben – und so verglühen Geistesblitze mit spontanen Emotionen wie sehnsüchtige Sternschnuppen im freien Fall. Am Ende bleibt nur noch die Ausrede, ein mitunter vorgetäuschter Grund, der Sie daran gehindert hat, Ihren Weg konsequent zu gehen“, hielt ich als Vorspann für mein Buch „Ein Irrer schreitet die Parade“ fest.

2005 sprach der mittlerweile 2011 verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs vor Absolventen an der Stanford University. Er hat zum damaligen Zeitpunkt als vom Krebs geheilt gegolten. Drei Episoden erzählte er den jungen Akademikern, die er ihnen als Lektionen für das Leben weitergeben wollte. Die letzte seiner Geschichten handelte vom Tod. „Als ich 17 war, las ich irgendwo ein Zitat, das ungefähr so lautete: Lebt man jeden Tag, als wär’s der letzte, liegt man eines Tages damit richtig. Das ist hängen geblieben. Seitdem frage ich jeden Morgen mein Spiegelbild: Wenn heute der letzte Tag meines Lebens ist, würde ich dann gern das tun, was ich heute tun werde?“ Und wenn die Antwort an zu vielen Tagen hintereinander Nein lautet, weiß ich, dass ich etwas ändern muss. Mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich bald sterbe, ist mein wichtigstes Hilfsmittel, um weitreichende Entscheidungen zu treffen. Fast alles – alle Erwartungen von außen, aller Stolz, alle Angst vor Peinlichkeit oder Versagen – das alles fällt im Angesicht des Todes einfach ab. Nur das, was wirklich zählt, bleibt. Sich daran zu erinnern, dass man eines Tages sterben wird, ist in meinen Augen der beste Weg, um nicht zu denken, man hätte etwas zu verlieren. Man ist bereits nackt. Es gibt keinen Grund, nicht dem Ruf des Herzens zu folgen“. Viele Menschen wollen nicht wahrhaben, dass der Tod optional gesehen nicht verhandelbar ist und dass es vor dem uns allen bevorstehenden letzten Weg schon gar keinen Sinn macht, das Leben eines anderen zu leben. Daher meine Frage an Sie: welches Leben leben Sie eigentlich?