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Pestizide aus Plastic City

Essen hält Leib und Seele zusammen, sagten unsere Großmütter. Stattdessen bringt neuerdings das, was uns nähren sollte, Leib und Leben in Gefahr. Es stürzt mich schon ein wenig in die Sinnkrise, wenn etwas für mich derart Lustvolles, Bereicherndes wie Essen plötzlich in einen Kontext von Tod und Krankheit gerückt wird. Und doch ist es alles andere als überraschend. Jetzt hat es also die Killergurke in die Schlagzeilen geschafft. Dabei sind die Opfer des EHEC-Virus zahlenmäßig harmlos: Laut WHO werden jährlich ein bis drei Millionen Menschen Opfer einer akuten Pestizidvergiftung, mehr als 200.000 Menschen sterben. Größter Verbraucher von Pestiziden in Europa ist Frankreich mit einem jährlichen Konsum von 80.000 Tonnen. Man stelle sich vor: 80.000 Tonnen Gift, das auf Obst und Gemüse gesprüht wird, das wir, das unsere Kinder verzehren. Vergangene Woche besuchte ich die größte Erfindermesse Asiens in Kuala Lumpur. Dort haben zwei Erfinder ein Verfahren vorgestellt, bei dem mittels Ozon Lebensmittel von Schadstoffen gereinigt werden. Im Foto oben sehen Sie ein Stück Hühnerfleisch, dass 30 Minuten lang „gereinigt“ wurde. Oben auf sehen Sie die Plastikrückstände schwimmen! Angesichts solcher Bilder lässt sich der Ekel kaum unterdrücken.

Antibiotika in Fleisch und Fisch, Farbstoffe, Weichmacher und Geschmacksverstärker, synthetischer Käse, Transfette. Unsere Lebensmittel sind vollgepumpt mit chemischen Zusatzstoffen. Und wenn man sich die Produktionsstätten mancher Lebensmittel ansieht, ist man geneigt Frau Swarovskis einstigen Ratschlag in die Tat umzusetzen und nur mehr Gemüse von der eigenen Terrasse zu konsumieren. Beispiel spanische Gurken: Die wachsen in den Plastikfolien-Gewächshäuser in der Region El Ejido entlang der spanischen Küste bei Almeria, genannt „Plastic-city“. Die Männer, die dort unter unmenschlichen Bedingungen zu einem Hungerlohn arbeiten, sind meist illegale Einwanderer aus Afrika. Unter den Folien wachsen vor allem Tomaten, Paprika und Erdbeeren unter starker Pestizidbehandlung und extremer Bewässerung. Insgesamt sind rund 36.000 Hektar mit Plastik überzogen. Im Dokumentarfilm „Unser täglich Brot“ werden noch drastischere Beispiele industrialisierter Lebensmittelerzeugung gezeigt, etwa wie unbrauchbare Küken computergesteuert am Fließband „aussortiert“ werden oder wie Lachse mit riesigen Schläuchen aus einem Fjord gesaugt werden. Auch wenn es pathetisch klingt, was mir dabei einfällt: Das ist wider die Gesetze des Lebens! Und die Rechnung bekommen wir jetzt präsentiert. Auch dass es im Zuge des Gurkendilemas jetzt auch die heilige Kuh „Bio“ erwischt hat, verwundert nicht weiter. Der Konsument kaufte die Bioprodukte – oft zu einem schamlos höheren Preis. Und er kaufte das gute Gewissen, das Nicht-darüber-nachdenken-Müssen gleich mit. Eine neuzeitliche Form des Ablasshandels gewissermaßen. Und die Biobranche lebte gut mit einem Bild von sich, das alles Schlechte auf die anderen überwälzte und nur sich selbst auf der „guten Seite der Macht“ der Lebensmittelproduktion sah. Damit dürfte nun Schluss sein. Ich möchte hier niemandem zu nahe treten, aber was haben denn die Bio-Hörigen geglaubt? Dass die explodierende Nachfrage nach biologisch einwandfreien Produkten vom Bauern ums „Eck“ gestillt werden kann?

Und um noch einen großmütterlichen Sinnspruch zu bemühen: Was nichts kostet, ist nichts wert. Wenn im Diskounter-Flugblatt das Kilo Schweineschnitzel um EUR 2,49 angepriesen wird, dann KANN sich das nicht ausgehen. Man muss kein promovierter Volkswirt sein, um das zu begreifen. Für viele Konsumenten ist heute bei Lebensmitteln der Preis das einzige Kaufkriterium. Für viele Menschen ist der Gang in den Supermarkt eine Rechnung auf Cent und nicht auf Euro. Nicht in Entwicklungsländern, sondern hier mitten im reichen Europa. Gutes Essen, gesunde Ernährung werden immer mehr zu einer sozialen Frage. Ein Bekannter hat mir erzählt, dass der Wareneinsatz für die Herstellung eines Menüs in Betriebskantinen, Mensen und sonstigen Essensabfertigungshallen im Durchschnitt bei 2 Euro liegt. Was soll da auf den Teller kommen, bei einem dreigängigen Menü?

Noch ein Absurdum: Qualitätsprodukte werden selbst aus Gegenden exportiert, in denen es Hunger und Unterernährung gibt. Zugleich verdrängen multinationale Unternehmen wie Danone und Nestlé mit ihren billigen Erzeugnissen die lokalen Produzenten vom Markt. Dem globalisierten Menschen fehlt längst die Kenntnis über Ursprung, Verarbeitung und Qualität der Lebensmittel. Wer weiß denn noch, welche Obst- und Gemüsesorten saisonal in seiner Region wachsen? Think global, local! Schön und gut, aber das muss man sich auch leisten können. Carlo Petrini, Gründer der Slow Food-Bewegung sagte kürzlich in einem Interview: Regierungen müssen endlich verstehen, dass Agrarerzeugnisse mehr Dimensionen haben als Stereoanlagen oder Autos. Sie stiften Kultur und Identität. Und die Art des Anbaus bestimmt, wie wir mit wichtigen Gemeingütern umgehen: mit Wasser, Boden, Luft, Wäldern und Seen. Im Moment leben wir auf Kosten künftiger Generationen, diesen ungebremsten Produktivismus müssen wir stoppen. Ein gedanklicher Ansatz, den ich zu hundert Prozent unterschreiben kann. Bleibt zu wünschen, dass dieses Licht nicht nur einigen wenigen Slow Food-Anhängern aufgegangen ist. Denn wenn nicht: Prost, Mahlzeit!

Quellen: www.derstandard.at, www.zeit.de