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Lebst du noch oder lebst du schon?

Wenn ich in Wien bin, dann stehen die Chancen nicht schlecht, mich am späteren Vormittag im Café Bräunerhof in der Wiener Stallburggasse anzutreffen. Ich kann nicht sagen, was mich eigentlich in das von außen wie innen unscheinbare Lokal zieht, das einst zu den bevorzugten Aufenthaltsorten von Thomas Bernhard zählte. Die Kellner behandeln ihnen nicht bekannte Personen eher unfreundlich und oft hat man den Eindruck, man müsste sich für eine Bestellung entschuldigen. Um das Verhältnis Gast/Ober zu beschreiben, kann ich eine Episode erzählen, die ich unlängst erlebt habe. Zum Mittagessen bin ich mit einer Bekannten verabredet. Der im schwarzen Smoking gekleidete Kellner ist dabei die Bestellung aufzunehmen, meine Gesprächspartnerin fragt, was es heute auf der Tageskarte an Speisen gibt, um als Antwort zu erhalten: “Gehen Sie doch vor das Lokal, da können Sie die aktuellen Menüs auf der Tafel nachlesen.” Gastfreundschaft auf Wienerisch nennt man das!

Es ist jetzt einige Jahre her, ich sitze im Bräunerhof und lese die Zeitungen, als der österreichische Schauspieler und Politiker Herbert Fux das Lokal betritt. Vielleicht fehlt mir die detaillierte Kenntnis über das Schaffenswerk des Mimen, aber ich würde aus meiner Beobachtung sagen, dass er künstlerisch gesehen eher das einfache Genre bedient hat. Mit schwerem Schritt und leicht gebückter Haltung bewegte er sich Richtung Theke, wechselte mit dem Personal ein paar Worte, um gleich darauf wieder zu gehen, den Blick nach unten gesenkt. Kurze Zeit später lese ich in den Zeitungen, dass er verstorben sei, eine Notiz, die mich nicht weiter berührte. Knapp ein Jahr nach seinem Tod erschien im Salzburger Otto Müller Verlag seine Biographie mit dem Titel “Wiederkehr und Abschied”. Die niedergeschriebene Lebensgeschichte von Herbert Fux habe ich mir nicht aus Interesse an seiner Person gekauft, sondern nur deshalb, da ich ihn kurz vor seinem Tod noch gesehen hatte. Das Vermächtnis des 1927 in Hallein geborenen Mannes hat mich einem Thema näher gebracht, das bei mir zum damaligen Zeitpunkt nicht so präsent war: dem frei gewählten Tod, nicht als Kurzschlussreaktion, sondern als bewusste Entscheidung! Auf den letzten Seiten seiner Lebenserinnerungen beschreibt Herbert Fux seinen Beschluss, seinem Leben ein Ende zu bereiten, einem Dasein, das durch vielfache Krankenhausaufenthalte und chronische Krankheiten für ihn unerträglich geworden war und das er so auf den Punkt bringt: “Freiheit im Leben und Freiheit zum Tod sind untrennbar verbunden mit der Menschenwürde.“ Er wollte noch als vielleicht nicht mehr gesunder Mensch, aber im Besitz seiner geistigen Kräfte selbst bestimmen, wann der letzte Weg angetreten wird. Dafür wählte er die Schweizer Sterbehilfeorganisation „Exit“, die seit genau 30 Jahren existiert. Im Detail beschreibt Fux in seiner Biografie, die von seinem Sterbehelfer zu Ende erzählt wird, wie er mehrfach in die Schweiz fliegt, um die Vorbereitungen zu treffen, nochmals nach Wien zurückkehrt, um dann geheim wieder zu seinem Sterbehelfer zu fliegen, einen letzten Schluck Wasser zu nehmen und die tödlichen Tabletten – dann war es vorbei, das irdische Dasein eines Mannes, der sein Leben gelebt hatte.

Diese Geschichte hatte ich irgendwie verdrängt, ich lebe zu gerne und keine Sorge, ich habe noch einiges vor! Aber als ich gestern beim Frühstück gesessen bin und die Zeitung gelesen habe, hatte die deutsche “Welt am Sonntag” das Thema Sterbebegleitung zum Leitmotiv gewählt. Ich fragte mich schon, wie man das Ereignis des selbst bestimmten Todes zum Inhalt einer Sonntagszeitung wählen kann. Aber unter dem *Titel “Herr Reutlinger und der geplante Tod” war die Geschichte eines Mannes nachzulesen, der von seinen Vorgesetzten als Freitodbegleiter bezeichnet wird, eine aus lebensbejahender Sicht seltsame Berufung wie ich meine, die aber in der Schweiz offiziell geregelt und erlaubt ist. Die in der Story erzählten Geschichten von Sterbewilligen verdeutlichen, wie schnell all das irdische Leben in die Einbahnstraße zum Jenseits einbiegen kann. Menschen mit unheilbaren Krankheiten, oder im Leben stehende Leute, die nur wählen können, zwischen unerträglichem Leid und dem erlösenden Tod!

Das Gute und ebenso Schicksalhafte am Leben ist, dass du keine Ahnung hast, wann es vorbei ist, wann der letzte Tag gekommen ist. Es wäre zu schade, gelebt zu haben, ohne tatsächlich gelebt zu haben! Meine Lieblingsbotschaft lautet an dieser Stelle: Mach das, was du tun willst – und du machst es gut. Mache nichts, was dich nicht glücklich macht, denn du wirst scheitern. Meine “Freunde” von der britischen Komikertruppe Monty Python haben in ihrem Lebensberatungsfilm “Der Sinn des Lebens” versucht, Antworten auf Phasen der eigenen Existenz zu finden und scheiterten bei allen Versuchen nach Erklärungen. Am Ende des Films wird von einer Fernsehsprecherin der Sinn des Lebens verlesen: “Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen, lesen Sie gute Bücher, gehen Sie spazieren und versuchen Sie, mit allen Menschen in Frieden zu leben.” Sie können das Leben in diesem Sinn ironisch verstanden ertragen. Denn wie man es auch dreht und wendet: als Mensch kann man dem Leben zwar nicht mehr Tage geben, aber mit Sicherheit jedem Tag mehr Leben!

* http://www.welt.de/print/wams