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Kopfzensur

Dass mir die politisch korrekte Formulierung eine Herzensangelegenheit ist, stelle ich mit meinen Texten immer wieder unter Beweis. Einer meiner letzten Beiträge Gegenderte Gegenstückehat zu zahlreichen Rückmeldungen geführt. Eine liebe Bekannte schrieb mir: Lieber GS, ich finde gegendertes Deutsch auch nicht sonderlich elegant. Trotzdem: Sprache schafft Realität. Das mag uns anfangs ungewohnt und holprig vorkommen, ist aber notwendig, um gesellschaftliche Veränderungen zu verankern. Überleg mal: Vor wenigen Jahrzehnten noch hat man wie selbstverständlich von NEGERN gesprochen, käme dir das heut noch über die Lippen?”. Sofort habe ich an meine Kindheit gedacht, wo ich noch ungestraft mein mir mehr als lieb gewonnenes Negerbrot verzehren durfte. Diese so unglaublich gute dunkle Schokolade mit den ganzen Erdnüssen, die in den Siebziger und Achtziger Jahren äußerst beliebt gewesen ist. Und wenn es diese, mit einem für Gutmenschen potenziell rassistischen Begriff bezeichnete Schokolade mal nicht gab, dann konnte man seinen kulinarischen Horizont über den fernen Kontinent noch mit Negerküssen oder zumindest mit einem Mohr im Hemd erweitern und feststellen, dass sich niemand vor dem schwarzen Mann fürchten musste, sondern dieser ganz und gar für genüssliche Momente sorgen konnte. Das war quasi noch ein einfacher pädagogischer Zugang, der dem Hausverstand folgte, in einer Zeit, in der den Menschen aus meiner Sicht das Selberdenken gewissermaßen noch zugetraut und gestattet wurde.

Heute, im ganzen Regulierungswahn, der von einer bigotten Empörungsindustrie in Schwung gehalten wird, hat sich die Sachlage ein wenig verändert. Im Sommer des letzen Jahres hat beispielsweise Hannover als erste deutsche Stadt beschlossen, das Zigeunerschnitzel künftig in ihren gastronomischen Einrichtungen nicht mehr anzubieten, da Sinti und Roma in Niedersachsens Metropole diesen Begriff für diskriminierend finden. Meine Großmutter, übrigens eine gelernte Köchin, hat vorzügliche Zigeunerschnitzel zubereitet. Für mich, der nach Fleischgerichten nie ein besonders großes Verlangen hatte, war das eine sehr willkommene Speise, da die mit Paprika, Tomaten, Pilzen und weiteren Zutaten verfeinerte Sauce das Fleisch am Teller verdeckte und mir damit im Kopf ein nahezu fleischloses Gericht suggerierte. Das nur zum Verständnis, wie meine Denkzentrale funktioniert. Egal.

Als ich dieser Tage beim Mittagessen in einem Wiener Wirtshaus saß, fragte ich mich plötzlich, umgeben von Chinesen und Afroamerikanern, wieso diese Menschen noch immer “ein Wiener” verspeisen dürfen. Dagegen protestiert niemand, wenn da Fremde über unsere Stadt herfallen, nach touristischen Attraktionen Ausschau halten und vielleicht sogar nacheinander erst die Wiener, dann die Frankfurter und vielleicht als Draufgabe noch die Hamburger in ihren gefräßigen Rachen stecken! Das geht noch immer durch? Also ich habe mich zum wiederholten Male in meinem Empfinden verletzt gefühlt, als unlängst dieser fettleibige Amerikaner ohne jede Regung das Wienerschnitzel in sich reingestopft hat. Das war, als ob er meine Stadt misshandeln würde! Jeder seiner Bisse hat mir weh getan, ich bin gespannt, wie es mir ergeht, wenn ich wieder ein von Touristen stark frequentiertes Lokal besuche. Sollte ich diesen verletzenden und mich diskriminierenden Emotionszustand nicht ablegen können, dann werde ich mich an die im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien wenden. Vielleicht tun sie auch mal was, wenn sich ein Inländer in seinen Gefühlen und seinem Wertempfinden verletzt fühlt.

„Sprache schafft Wirklichkeit“, erklärte unlängst Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Für die Zunft der Politiker ein sicherlich zutreffendes Zitat, da ja dort der Irrglaube vorherrscht, dass durch die permanente Wiederholung von Unwahrheiten reale Wirklichkeiten geschaffen werden können. Ich würde eher meinen, dass die Wirklichkeit die Sprache erzeugt. Es sind die vorhandenen Realitäten, die Menschen Dinge artikulieren lassen. Sprachzensur kann nicht das Fundament sein, auf dem gesellschaftlicher Wandel im positiven Sinn gedeiht. Wenn jedes bedenkliche Wort am Altar der Political Correctness platt gemacht wird, haben wir dann gewonnen? Ich glaube nicht! Erzielen wir nicht den gegenteiligen Effekt? Brauchen wir nicht alle historische Bezugspunkte in einem kulturellen Kontext, um Entwicklungen verstehen zu können? Schreiben wir nach den Kinderbüchern die Literaturklassiker um? Und irgendwann gibt es dann eine politisch-korrekte Ausgabe von Mein Kampf” als Höhepunkt all dieser Heuchelei? Und wenn wir dann die Sprache und das gesprochene Wort endgültig keimfrei gemacht haben, wenden wir uns dann etwa der bildenden Kunst zu, die nur so strotzt von Rassismus und Diskriminierung? Sprache oder Bilder sollen nicht beleidigen, das ist klar, aber diese permanent vorauseilende Entschuldigungsmentalität führt manche Debatten bedauerlicherweise vom Ernsthaften ins Lächerliche.