Überlebensmerkmale
Der unfassbare Absturz des Germanwings-Fluges 4U 9525 ließ mir wie vielen anderen Menschen den Atem stocken. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel traf mit ihrer Sicht der Dinge „So etwas geht über jedes Vorstellungsvermögen hinaus“ die Fassungslosigkeit Tausender. Was für ein unfassbares Leid der Crash des Airbus A 320 in den französischen Alpen für die Angehörigen der Opfer ausgelöst haben muss, lässt sich für mich nicht einmal ansatzweise erahnen. Der andere Gedanke in meinem Kopf nach der Tragödie war, wie werde ich mich als eine Person, die sehr häufig mit Germanwings fliegt fühlen, wenn ich nächstes Mal einen Flieger dieser Linie besteige? Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber ich fand eine innerliche Beruhigung, als der ermittelnde Staatsanwalt der Flugzeugkatastrophe verkündete, dass die 25 Jahre alte Kurzstreckenmaschine nicht ob eines technischen Gebrechens im kargen Bergmassiv 100 Kilometer nordwestlich von Nizza zerschellt ist. Aufgrund dieser Erklärung werde ich in den nächsten Tagen wiederum einigermaßen beruhigt in eine Maschine des Lufthansa Tochterunternehmens einsteigen und einen Flug Richtung Deutschland wagen.
Wie viele andere Menschen verfolge ich seit Tagen die Berichterstattung um eine der größten Flugzeugkatastrophen in unseren Breiten seit Jahrzehnten. Ich bin kein Flugzeug-Experte, und folglich kann ich auch nichts von all dem, was uns als Information und Erklärung für das Unglück von Ermittlern, Fachmännern und Medien im Sekundentakt präsentiert wird, bewerten. Ob der uns von den französischen Behörden als Täter präsentierte Co-Pilot Andreas L., der für Niki Lauda ganz klar “ein Mörder” ist, tatsächlich alleine die 150 Toten zu verantworten hat, kann ich nicht beurteilen. Zwei Anmerkungen möchte ich dennoch kundtun, einmal als Medienkonsument, einmal als „Scheiter-Experte“. Ich halte die Berichterstattung vieler Medien im Zuge dieses Unglücks in keiner Weise mehr vertretbar. Wenn einige der Journalisten auch nur einen Funken von Anstand besitzen und sich ihrem Berufskodex verpflichtet fühlen würden, dann müssten viele Zeitungsseiten bildlich gesprochen einfach leer bleiben. Da gilt keine Rechtfertigung mehr von Informationspflicht, die reflexartig als argumentativer Kettenhund in vielen Fällen schlicht und einfach missbraucht wird. Der Absturz des Germanwings-Fluges 4U 9525 ist in keiner Weise abgeschlossen, die zweite Blackbox der Unglücksmaschine noch nicht mal gefunden und ausgewertet. Aber das mediale Geheul, die journalistische Leichenfledderei im schlimmsten Sinn des Wortes kennt in mehreren Medien eine Einseitigkeit, die jegliche Objektivität vermissen lässt und dadurch absolut unehrenhaft ist! Nur für den Fall, dass der Abschluss der Ermittlungen ganz andere Erkenntnisse bringen sollte – was würde dann passieren?
Der zweite Aspekt, den ich noch aus der Perspektive des Scheiterns einbringen möchte ist einer, der zu einem grundsätzlichen Problem führt. Der als Mörder titulierte Co-Pilot, der angeblich die unsägliche Katastrophe zu verantworten hat, war von Kindheit an ein Fan von Flugzeugen und unternahm alles, um sein großes Ziel Pilot zu werden, zu erreichen. Seine angehende Ausbildung zum Berufspiloten musste er unterbrechen, die Erfordernisse des intensiven Unterrichts hatten ihn nachweislich überfordert, psychische Probleme waren die Folge, das vorläufige Ende seines Studiums die Konsequenz. Irgendwie schaffte es Andreas L. zurück, er konnte wieder in den Lehrgang einsteigen und seinen lange gehegten Wunsch des Berufspiloten konsequent weiter verfolgen. Die tagtägliche Arbeit wurde für ihn offensichtlich zur unerträglichen Belastung, Medikamente, die ihm den Berufsalltag ermöglichten, waren die Folge. Er wusste, wenn er nochmals in seiner “Karriere als Flieger” scheiterte, dann würde sich vermutlich kein Gutachter mehr finden, der ihm eine Flugtauglichkeit als Pilot attestieren würde. Sein Traum, sein großes Ziel wäre für immer ausgeträumt gewesen – und das mit nicht mal 30 Jahren. Andere Piloten sprechen in Interviews von teilweise unerträglichen Belastungen im Berufsalltag, von Anforderungen, die immer schwerer zu erfüllen sind. In einigen Postings schreiben Berufskollegen anonym, dass sie ebenso Psychopharmaka nehmen, wie der Unglückspilot, um den Anforderungen gerecht zu werden, da man in diesem System keine Schwäche zeigen dürfe. Und das ist der wesentliche Punkt: die Leute können vielfach nicht mehr, aber kaum jemand traut sich Schwäche zu zeigen, aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und vor der Bedrohung der Existenz. Der Mensch hat in vielen Fällen die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht. Und auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen, der Homo sapiens ist keine Maschine! Vor mehreren Wochen gab es eine Serie in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel “Wie arbeiten wir in Zukunft?”. Den Abschluss der Serie bildete ein Text zum Thema “Illusion der Stärke”. Darin stand unter anderem zu lesen: “Dass die heutige Arbeitswelt krank machen kann, ist schon viel diskutiert worden. Die Fehlzeiten wegen psychischer Leiden sind in Deutschland von rund 30 Millionen Tagen im Jahr 2001 auf zuletzt mehr als 60 Millionen gewachsen. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation den Stress zu einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts erklärt”. Bevor in großen wie in kleinen Unternehmen nach solchen Krisensituationen wieder unreflektiert zur Tagesordnung übergegangen wird, sollte die professionelle Auseinandersetzung mit diesem Tabuthema verpflichtend auf die Agenda von Entscheidungsträgern gesetzt werden – nur so kann verhindert werden, dass die Menschheit nicht irgendwann an sich selbst scheitert.