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Gelassenheit im Saustall

„Fremdschämen“ heißt das österreichische Wort des Jahres 2010. Eine hochrangige Jury von Germanisten und Sprachwissenschaftlern hat das so festgelegt, also wird schon was dran sein. Sauber! Aber irgendwie naheliegend. Und seltsam, dass mir als erste Assoziation dazu unser Herr Landwirtschaftsminister von Gottes Gnaden einfällt. So geht´s aber auch wirklich nicht! Schnee hin, Flugverkehrschaos her: Wenn ihrer sonnenköniglichen Hoheit das Testosteron einschießt, hat sich das gemeine Volk gefälligst in den Staub zu werfen. Wir kommen zu spät zum Klimagipfel, die Lakaien mögen eilen, unseren Flieger aufzuhalten! Nicht möglich? So ein Saustall! Wir sind doch nicht Krethi und Plethi! Es ergeht der Erlass: Die zuständige Leibeigene ist umgehend aus dem Verkehr zu ziehen! Na gut, doch nicht. Aber zumindest soll sie einmal ein bisserl brav sein! Der gute Nikolaus hat sich ohnehin schon selbst ans Bein gepinkelt, also hacken wir nicht weiter auf ihm herum. Was mich aber bei der Geschichte wieder einmal verblüfft, ist der Umstand, worüber Menschen imstande sind sich, aufzuregen. Denn im Gegensatz zu dieser Causa gibt es rückblickend auf das vergangene Jahr, vieles, bei dem man mit gutem Grund brüllen möchte: So ein Saustall!

Etwa wenn aus der Elfenbeinküste zehntausende Menschen wegen politischen Repressionen eines korrupten Regimes auf der Flucht sind. Wenn eine lecke Ölplattform die schwerste Umweltkatastrophe der Menschheitsgeschichte auslöst und das verantwortliche Unternehmen ungeniert versucht, sich abzuputzen. Wenn Politiker wie Italiens Silvio Berlusconi oder Irans Mahmut Ahmadinejad ihre Regierungswürdigkeit bestätigt finden und gleichzeitig ein Barack Obama seine Visionen zerbröseln sieht. Wenn hierzulande die Kleingeister vom rechten Rand Ausgrenzung und politischen Stumpfsinn peu à peu salonfähig machen. Wenn sich die Berichte über Missbrauchsfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche häufen und man auf Konsequenzen vergeblich wartet. Oder wenn Typen wie Grasser, Plesch und Meischberger den Rechtsstaat nach Strich und Faden verarschen. Die Liste ließe sich endlos fortführen… Cut. Innere Einkehr. Trotz alledem bemühe ich mich um einen entspannten Zugang. Keine Sorge, ich bin bestimmt nicht der oh-du-fröhliche-Typ, der in den kollektiven Besinnlichkeitskanon einstimmt, aber die ruhigen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind meine Zeit des Atemholens. Und sie eignen sich ganz gut dazu, die Dinge in die richtige Relation zu bringen, wichtiges von unwichtigem zu trennen und ein wenig Bilanz zu ziehen. Die fällt unter dem Strich gut aus. Denn auch wenn es banal klingt: Wer das Glück hat, hier geboren worden zu sein, daheim einen vollen Kühlschrank zu haben, freien Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Reisefreiheit zu genießen, der hat allen Grund, zufrieden zu sein und die Dinge entspannt zu sehen – auch ohne Ministergehalt.

Und jetzt kann ich es mir doch nicht verkneifen, dem eingangs Zitierten noch etwas ins Stammbuch zu schreiben: Irre ich oder zählte eine gewisse weltmännische Gelassenheit nicht dereinst zu den Stärken eines Politikers? Erst unlängst durfte ich nach langem wieder einmal einen erleben, der die Gelassenheit zur Königsdisziplin erhoben hat. Da nämlich saß der große Helmut Schmidt in der Talksendung von Sandra Maischberger und auf die Frage, ob denn der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle seinen Job gut mache, antwortete er mit der ihm typisch nordischen Nüchternheit: „Ich glaube nicht, dass Sie im Ernst eine Antwort verlangen.“ Maischberger hakte nach: „So schlimm?“ „Ich habe nichts hinzuzufügen“. So geht das. Den Lesern meiner kleinen Internetkolumne wünsche ich auf diesem Wege ein großartiges Jahr 2011. Gehen Sie die Dinge gelassen an! 😉