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Gehirnmuskeltraining

Viel zu selten finde ich in letzter Zeit Ruhe, um mich einer meiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Lesen, ausgiebig hinzugeben. Natürlich lese ich auch in lesefreierer Zeit viele unterschiedliche Medien, aber es ist ein anderes Lesevergnügen, einfach mal die Stopptaste des Alltags zu drücken und sich von einem Buch entnommener Gedanken leiten zu lassen. Den Hinweis, welch geistige Nahrung ich mir aktuell zuführen sollte, gab mir ein Tagebucheintrag von Andy Warhol vom 14. Oktober 1979, den er fast auf den Tag genau vor 36 Jahren verfasste. Darin beklagte sich der wohl bedeutendste Vertreter der amerikanischen Pop Art, dass er eine an diesem Datum mitverfolgte Rede des Dalai Lama in der Cathedral of Saint John the Divine in New York City als “höchst langweilig” empfunden habe. Ich kann versichern, dass ich damals noch nicht dabei gewesen bin, aber ich bedanke mich für den Impuls, ein kleines Büchlein zur Hand zu nehmen, welches ich schon seit einigen Wochen mit mir herumtrage.

Anfang Juni 2015 erschien der Appell des Dalai Lama an die Welt mit dem Titel Ethik ist wichtiger als Religion, der vom deutschen Fernsehjournalisten Franz Alt zusammengestellt wurde und auf einem Interview mit dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter beruht. „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen, formuliert der 80jährige seine Sicht der Dinge im Gespräch für dieses Buch, um dann zu schlussfolgern: Nach meiner Überzeugung können Menschen zwar ohne Religion, aber nicht ohne innere Werte, ohne Ethik auskommen„. Warum sind immer die einfachsten Dinge so schwer zu erreichen, frage ich mich? Wenn wir diese Welt besser machen wollen, dann müssen wir selber bessere Menschen werden”. So banal und doch so schwer in die Praxis umzusetzen lautet ein weiterer Ratschlag jenes Menschen, der immer ein freundliches Lächeln im Gesicht trägt und mit schlichten Sandalen und ebensolchem Gewand die Welt mit seiner Botschaft bereist.

Wie sieht es mit Ihnen aus? Was ist Ihr ganz konkreter Beitrag zur Rettung der Welt, sehr verehrte Leserinnen und Leser meiner Kolumne, wenn ich das so plakativ formulieren und fragen darf? Ich will an dieser Stelle weder vor- noch aufrechnen, aber ein paar Begrifflichkeiten in den Raum stellen, die ein Beitrag sein könnten, dass sich unsere Erdkugel zum Besseren wendet. Ich möchte die folgenden Begrifflichkeiten nicht als Platzhalter für die Theorie verwenden, sondern fragen, Sie zum Nachdenken einladen, wie Sie mit Grundlagen der Ethik im Alltag umgehen. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie von Wörtern mit großer Tragweite und Konsequenz im Handeln wie Achtsamkeit, Bildung, Respekt, Toleranz, Fürsorge oder Gewaltlosigkeit lesen? So einfach wäre es, die Welt ein wenig friedlicher zu gestalten. Ich persönlich will nicht mehr von den unsagbaren Konflikten in der Ukraine, im Nahen Osten, in Afghanistan oder in Nigeria lesen. Viel lieber würde ich vernehmen, dass die handelnden und somit verantwortlichen Personen zu Einsicht gelangt sind, dass „Kriege nicht notwendig sind, da sie keine Not wenden“, um in Worten des von mir sehr verehrten Oskar Werner zu sprechen.

Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass sich die Menschheit aus Motiven von Hass und Gewalt im humanitären Sinn weiterentwickelt. Wenn dem so ist, dann frage ich mich, ob es sich nicht eher lohnen würde, am Zustand des persönlichen Glücks und dem seiner Umwelt zu arbeiten. Es muss nicht gerade die Selbstlosigkeit des Hans im Glücksein, über den ich letzte Woche nach einem Vortrag in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn intensiv diskutiert habe. Aber stellen wir uns mal vor, dass das, was die Neuropsychologie behauptet, tatsächlich stimmt. Dass wir unser Hirn trainieren können wie einen Muskel. “So könnten wir bewusst Gutes und Schönes in uns aufnehmen und unser Gehirn positiv beeinflussen und Negatives überwinden. Kraft unseres Geistes könnten wir unser Hirn zum Besseren verändern”. Das wäre doch ein revolutionärer Fortschritt und eine bewusstseinsverändernde Übung, die jede und jeder von uns im Sinne der Menschheit und einer damit einhergehenden besseren und lebenswerteren Gemeinschaft absolvieren könnte!